Der Bayernfan und der Eigenbedarf - zu BGH v. 23.10.2018, VIII ZR 61/18
Gespeichert von Dr. Michael Selk am
Berufungskammern machen eher selten Fehler - aber wenn dies geschieht und sie dann auch noch im Wege einer Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH aufgehoben werden, ist dies besonders bemerkenswert.
Das LG München I hatte, anders als die Vorinstanz, dem Vermieter den Eigenbedarfswunsch nicht "abgenommen" und der auf Feststellung des Fortbestehens des Mietverhältnisses gerichtete Klage des Mieters stattgegeben. Während das AG allerdings noch Zeugen zur Frage der Ernsthaftigkeit des Nutzungswillens vernommen hatte, wählte das LG den einfachen Weg und gab der Klage des Mieters ohne jede Beweisaufnahme statt.
Anlass war sicherlich, dass nach der Aktenlage der Eigenbedarfswunsch zumindest ungewöhnlich war: die Vermieter, in Österreich wohnend, kamen ab und zu vor allem zu familiären und kulturellen Ereignissen (u.a. Heimspielen des FC B....) nach München und bewohnten dort im eigenen Haus im Erdgeschoss bereits eine Wohnung, hatten nun aber die etwas größere im 5. Obergeschoss gekündigt, in der die Mieter wohnten. Zudem hatten sich die Parteien schon in den vergangenen Jahren mit Strafanzeigen überschüttet und zahlreiche Rechtsstreitigkeiten geführt. Vor diesem Hintergrund meinte das LG München I, der Eigenbedarfswunsch sei nicht vernünftig und nicht nachvollziehbar.
Anders der BGH (NZM 2018, 988): ohne erneute Beweisaufnahme hätte das Landgericht gar nicht von der Entscheidung des Amtsgerichts abweichen dürfen. Zudem seien die Motive der Vermieter durchaus nachvollziehbar. Eine andere Frage sei, ob der Nutzungswunsch wirklich ernsthaft verfolgt werde oder ob man nicht einfach einen unliebsamen Mieter "loswerden" wolle. Das aber sei Tatfrage und Gegenstand der Beweisaufnahme. Beide Aspekte dürfe man nicht vermengen, wie es aber das Landgericht getan habe. Der BGH verwies die Sache daher an einer andere Kammer des LG München I zur erneuten Verhandlung zurück.
Der Beschluss des VIII. Zivilsenats ist konsequent und im Ergebnis zutreffend. Tatsächlich stellt die Nichtdurchführung der gebotenen Beweisaufnahme eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Vermieters gem. Art. 103 I GG dar, da das Landgericht nicht von der Entscheidung des Amtsgerichts abweichen durfte, ohne sich ein erneutes Bild von den Zeugen zu machen. Nun meinte das Landgericht zwar im Ergebnis, dies sei nicht notwendig, da schon nach dem Vortrag der Vermieter von einem Selbstnutzungswunsch angesichts des fortgeschrittenen Alters der Vermieter und weiterer Umstände nicht die Rede sein könne. Geht man jedoch wie der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Selbstnutzungswunsch grundsätzlich zu akzeptieren ist, sofern nicht evident ein Fall des Rechtsmissbrauchs vorliege, kommt man um eine Beweisaufnahme (zu den Problemen und Fehlern vor allem der Amtsgerichte bei Eigenbedarfskündigungen s. Selk, NZM 2018, 978ff) nicht herum. Eine andere, von den Instanzen nicht erörterte Frage ist allerdings, ob das Tatbestandsmerkmal des "Benötigens" gem. § 573 II Nr.2 BGB nicht von den Gerichten nach wie vor zu extensiv ausgelegt wird: ob ein solcher Vermieter wie im Münchener Sachverhalt die Wohnung wirklich "benötigt", also "auf" die Wohnung nach dem üblichen Sprachgebrauch des Wortes "angewiesen" ist, sie "nicht entbehren" kann, erscheint zweifelhaft. Zwar geht die h.M. davon aus, dass "benötigen" nicht "dringend benötigen" bedeutet. Die Wortlautgrenze wird allerdings m.E. hier überstrapaziert.