Hessisches LAG: "Sachvortragsverwertungsverbot" bei Verstoß gegen Datenschutzrecht
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Man lernt ja nie aus. Ein Beweisverwertungsverbot kannte ich schon, ein "Sachvortragsverwertungsverbot" war mir bislang neu. Das ist mir jetzt in einem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts begegnet.
Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin, wobei das Arbeitsverhältnis unstreitig später durch Eigenkündigung des Klägers geendet hat. Der Arbeitgeberin war zugetragen worden, dass sich der Kläger geschäftsschädigend über das Unternehmen geäußert habe. Daraufhin durchsuchte sie das an sich passwortgeschützte E-Mail-Postfach des Klägers. In der IT-Sicherheitsrichtlinie der Beklagten heißt es dazu:
„…Betriebliche Gründe können erfordern, dass die persönliche E-Mail-Box durch Anordnung eines Vorgesetzten eingesehen werden muss. Von dieser Einsicht kann ein persönlicher Ordner ausgeschlossen werden, der deutlich als privat zu kennzeichnen ist. Es wird empfohlen, private E-Mails nach dem Lesen direkt zu löschen. …“
Tatsächlich fanden sich in den E-Mails solche mit abwertenden Äußerungen über das Unternehmen und dessen Geschäftsführer. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Im Kündigungsschutzprozess blieb der Inhalt der E-Mails ebenso unstreitig wie die Tatsache, dass sie nicht in einem als "privat" gekennzeichneten Ordner lagen und dass der Kläger sie verfasst hatte. Eines Beweises (bei dem dann uU ein Beweisverwertungsverbot eingegriffen hätte) bedurfte es also nicht. Das LAG hielt jedoch schon den - unstreitigen - Sachvortrag der Beklagten für prozessual unverwertbar:
1. Ist der Sendevorgang abgeschlossen, kommt ein Verwertungsverbot von E-Mails nach § 88 Abs. 3 TKG jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die E-Mails auf einem Ordner abgelegt sind, auf den der Arbeitgeber ohne Zugriff auf das Internet zugreifen kann.
2. Es stellt eine unverhältnismäßige Kontrollmaßnahme nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF dar, wenn der Arbeitgeber auf einen vagen Hinweis, der Arbeitnehmer hätte sich geschäftsschädigend über den Arbeitgeber geäußert, den privaten E-Mail-Verkehr eines Arbeitnehmers in einem Zeitraum von einem Jahr auswertet.
3. Dieser Verstoß gegen Datenschutzrecht führt nach einer Abwägung zwischen Art. 103 Abs. 1 GG und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu einem „Sachvortragsverwertungsverbot“.
4. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich die Arbeitnehmer anhalten, private E-Mails in einem separaten Ordner abzuspeichern oder nach Kenntnisnahme zu löschen. Allerdings müssen diese Vorgaben selbst dem aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Dies bedeutet, dass die Vorgaben transparent und erforderlich sein müssen, um die vom Arbeitgeber verfolgten Zwecke zu wahren.
Hessisches LAG, Urt. vom 21.9.2018 - 10 Sa 601/18, BeckRS 2018, 36472