Gestückelte Anklageerhebung wegen angeblich gestückelter Parteispenden?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Juristisch äußerst spannend macht es derzeit die Justiz in Regensburg. Mit (bisher) an die 50 Verhandlungstagen ist der Strafprozess um den Oberbürgermeister u.a. wegen Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung und Verstoß gegen das PartG (früherer Beitrag im Beck-Blog) wohl jetzt schon einer der längsten, wenn nicht der längste und aufwändigste Strafprozess, den das LG Regensburg überhaupt je geführt hat. Und er droht jetzt noch länger zu werden.
Hintergrund ist, dass die Staatsanwaltschaft neben mehreren Komplexen um Spenden und anderen angeblichen Vorteilen aus dem Umkreis des mitangeklagten Immobilienunternehmers T. auch noch weitere Sachverhalte, in denen es um Spenden anderer Unternehmer geht, ermittelt hat, und nun drei weitere Anklagen erhoben hat. Die erste dieser Anklagen wurde soeben von einer anderen Kammer des LG Regensburg aus rechtlichen Gründen nicht eröffnet. Die Begründung (Pressemitteilung des Gerichts) klingt plausibel: Dieser neue angeklagte Sachverhalt stelle keinen eigenen Prozessgegenstand dar, sondern bilde mit dem vor dem LG bereits verhandelten Sachverhalt eine einheitliche prozessuale Tat. Deshalb bestehe das Verfahrenshindernis der „anderweitigen Rechtshängigkeit“. Dies ist letztlich dem grundgesetzlichen Gebot „ne bis in idem“ (Art. 103 III GG) geschuldet. Ob auf – mittlerweile eingelegte – Beschwerde der Staatsanwaltschaft das OLG Nürnberg dies genauso sehen wird, ist noch offen. Zwar sind die Sachverhalte verknüpft durch die (angeblich nach § 31d PartG rechtswidrigen) Spendenmitteilungen, doch betreffen sie im Übrigen getrennte Lebenssachverhalte, nämlich andere Zeitpunkte, Beteiligte und Motive.
Abgesehen davon muss man wohl festhalten, dass eine Anklageerhebung schon aus Fairnessgründen (Art. 6 EMRK) ebenso wenig „gestückelt“ werden sollte wie etwa Parteispenden. Ein Beschuldigter hat auch ein Recht darauf, sich in EINEM Verfahren gegen sachlich zusammenhängende Vorwürfe verteidigen zu können.
Wenn aber diese verschiedenen Sachverhalte (einschließlich der beiden weiteren Anklagen) tatsächlich EINE prozessuale Tat zusammen mit den bereits verhandelten Sachverhalten darstellen sollten, dann stellt sich die Frage, wie es weitergeht in diesem (für Regensburger Verhältnisse) „Mammutprozess“, den man ja schon fast auf der Zielgeraden sah.
Rein theoretisch, also ohne Berücksichtigung der inhaltlichen Einzelheiten des konkreten Falls, ergeben sich hier schon abstrakt spannende strafprozessrechtliche Fragen, deren Beantwortung auch für andere Verfahren relevant sein könnte.
Falls das Gericht die bisher nicht berücksichtigten Sachverhalte (in Anwendung von § 265 II Nr.3, IV StPO bzw. § 154a III S.1, 2 StPO analog) einbezieht, müsste der Verteidigung auch Gelegenheit zur Vorbereitung gegeben werden. Zumindest eine mehrwöchige Unterbrechung des Verfahrens ließe sich wohl kaum vermeiden. Je nach Komplexität der Angelegenheit könnte hier nach § 265 IV StPO aber „zur genügenden Vorbereitung der Verteidigung“ möglicherweise sogar die Aussetzung der Hauptverhandlung, also deren vollständige Neuansetzung, notwendig werden.
Man kann wohl davon ausgehen, dass die Verfahrensbeteiligten, v.a. Staatsanwaltschaft und Gericht eine Aussetzung vermeiden wollen. Dann stellt sich die Frage, ob das Gericht den bisher nicht in der Anklageschrift erwähnten Verfahrensstoff mit dem Hinweis auf dessen „nicht beträchtliches Gewicht“ oder mangels Erwartung eines Urteils „in angemessener Frist“ nach § 154a II 1,2 StPO (möglicherweise iVm § 154 I Nr.2 StPO) ausscheiden könnte. Dazu wäre allerdings die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Ob sie diese Zustimmung unter dem Eindruck einer (drohenden) Unterbrechung oder gar Aussetzung der Hauptverhandlung erteilt, wird man abwarten müssen. Hier geht es auch darum, wie weit (oder eng) das Opportunitätsprinzip im Sinne des Beschleunigungsgebots und der Konzentrationsmaxime ausgelegt bzw. verstanden wird.
Wenn auch spekulativ, könnte auch ein weiteres Problem noch in den Blick geraten: Während in der derzeitigen Verhandlung laut Eröffnungsbeschluss nur Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung verhandelt werden, lautet der bereits rechtskräftige Strafbefehl gegen einen Unternehmer in der „neuen“ Sache auch auf Bestechung (§ 334 StGB). Käme dementsprechend spiegelbildlich für das Gericht hinsichtlich des angeklagten OB auch Bestechlichkeit (§ 332 StGB) in Betracht, dürfte die Anwendung von § 154a II StPO zumindest in der Variante § 154 I Nr.1 StPO ausscheiden. Eine Aussetzung nach § 265 III StPO wäre im Falle dieses Vorwurfs des Verstoßes gegen ein „schwereres Strafgesetz“ dann auch kaum mehr zu vermeiden.
Update (13.03.2019): Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde eingelegt, wie das Wochenblatt berichtet.
Update (17./18.04.2019): Das OLG Nürnberg hat der Beschwerde der StA Regensburg stattgegeben. Damit wurde die zweite Anklage gegen den OB zugelassen.
Bericht Mittelbayerische Zeitung
Pressemitteilung der Verteidigung des OB
Kommentar (18.04.2019) Eine Stückelung der Anklage (angeblich sind noch zwei weitere Vorwürfe im Köcher der Staatsanwaltschaft) kann konkret als "unfair" empfunden werden, da der Verteidigungsaufwand dadurch erheblich erhöht wird. Folgt man insoweit der Entscheidung des OLG Nürnberg, dann betreffen die Vorwürfe keinen identischen Prozessgegenstand. Die Sachen hätten meines Erachtens aber ursprünglich doch verbunden gehört (§§ 2, 3 und 4 StPO). Eine solche Verbindung geschieht regelmäßig, wenn gegen ein und dieselbe Person wegen verschiedener Straftaten gleichzeitig ermittelt wird (vgl. § 3 StPO). Es könnte auf Antrag des Angeklagten oder der StA sogar immer noch eine Verbindung der beiden nun rechtshängigen Sachen stattfinden. Vgl. dazu den Aufsatz von Meyer-Goßner NStZ 2004, 353 (Beck-Online Link, ggf. kostenpflichtig), der ausführt, dass § 4 StPO auch für verschiedene Spruchkörper innerhalb desselben Gerichts gelte (Erst-Recht-Schluss). Allerdings fragt sich, ob dies "zweckmäßig" wäre, denn das erste Verfahren steht ja schon kurz dem Abschluss. Einen Anspruch auf eien Verbindung hat der Beschuldigte nach st. Rspr. nicht. Allerdings könnte hier der "Fair-Trial"-Grundsatz zumindest einer willkürlichen Trennung entgegenstehen.
Wenn die Verteidigung (Erklärung) nun sagt, man halte an der "doppelten Rechtshängigkeit fest" und wolle dies bis zum Bundesgerichtshof "unverändert verfolgen", dann heißt das, dass man den Einwand des Strafklageverbrauchs ("ne bis in idem") im zweiten Verfahren, sollte es dort zu einer Verurteilung kommen, als Revisionsgrund geltend zu machen gedenkt. Das ist vollkommen konsequent, da der Eröffnungsbeschluss nach § 210 Abs.1 StPO unanfechtbar ist, und allenfalls eine Verfassungsbeschwerde des Inhalts, die Eröffnung verstoße gegen "ne bis in dem" (Art. 103 Abs.3 GG) zulässig wäre (vgl. BverfG v. 03.09.2004 - 2 BvR 2001/02).
Im ersten Verfahren, in dem derzeit die Hauptverhandlung läuft, kann der Einwand "ne bis in idem" keine Rolle spielen.
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Zu diesem Strafprozess sind schon zwei Beiträge im Beck-Blog erschienen: