Staatsanwaltschaft fordert im Regensburger Korruptionsprozess 4 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe - sind die "verrückt geworden"?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Vier Jahre und sechs Monate fordert die Staatsanwaltschaft für die Hauptangeklagten im Verfahren um die (angebliche) Annahme von Vorteilen durch den Oberbürgermeister der Stadt Regensburg (Regensburg Digital, Mittelbayerische Zeitung kostenpflichtig). Eine Forderung, die in der Höhe viele Beobachter überraschte, denn nicht alle in der Anklage erhobenen Vorwürfe schienen sich in der monatelangen Beweisaufnahme (50 Tage Hauptverhandlung) bestätigt zu haben. Der angeklagte OB äußerte sich gegenüber der Presse (Video-Link) und in einer Videobotschaft dahingehend, die Strafforderung sei „verrückt“, die Staatsanwältinnen führten eine „Jagd- und Vernichtungsfeldzug“ gegen ihn (Facebook-Link).
Die Strafforderung beruht vor allem darauf, dass die Staatsanwaltschaft an ihrer ursprünglichen Anklage, es handele sich bei dem vorgeworfenen Geschehen (teilweise) um Bestechung und Bestechlichkeit im besonders schweren Fall, auch nach der Beweisaufnahme festhält. Unterstellt man die Taten als bewiesen, ist die Forderung, die sich im Wesentlichen aus dem Strafrahmen der §§ 332 I, 334 I, 335 I Nr.1 StGB (ein bis zehn Jahre) und aus der Zusammenfassung mehrerer Einzelstrafen ergibt, durchaus nachvollziehbar. Außerdem kann man diese Strafforderung mit der seit einigen Jahren virulenten „Strenge“ gegenüber Korruptionsdelinquenz in Einklang bringen. Anders als in früheren Zeiten werden, auch angesichts internationaler Vereinbarungen zur Korruptionsbekämpfung, Spezl-Wirtschaft und Klüngel (auch auf kommunaler Ebene) nicht mehr geduldet oder als Kavaliersdelinquenz abgetan.
Allerdings hat das LG Regensburg die Anklage nur mit der rechtlichen Bewertung „Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung“ (§§ 331, 333 StGB) zugelassen und es ist nicht erkennbar, dass sich das Gericht an diese rechtliche Wertung nicht mehr gebunden fühlt (§ 264 II StPO). Um nach der Beweisaufnahme nun doch zu einer Verurteilung wegen Bestechlichkeit/Bestechung zu kommen, wäre ein rechtlicher Hinweis (§ 265 I StPO) erforderlich, und dieser käme nun – während der Plädoyer-Phase – doch sehr überraschend und kann nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung wohl ausgeschlossen werden.
Die verhängten Strafen, sollten die Hauptangeklagten überhaupt verurteilt werden, werden deshalb aller Voraussicht nach jedenfalls deutlich geringer ausfallen, denn der Strafrahmen der §§ 331 I, 333 I StGB (Geldstrafe oder bis zu drei Jahren) liegt deutlich unter dem von der Staatsanwaltschaft herangezogenen. Da es sich um nicht vorbestrafte Angeklagte handelt, braucht man nicht allzu stark zu spekulieren, um je nach Anzahl der Einzeltaten – im Falle einer Verurteilung (!) – eine Bestrafung unterhalb der aussetzungsfähigen Schwelle (zwei Jahre) für realistisch zu halten; sogar Geldstrafen wären nicht ausgeschlossen. Zudem hatte man in der Verhandlung den Eindruck gewonnen, das Gericht werde Fehler im Ermittlungsverfahren (insbes. hinsichtlich der Verschriftlichung der TKÜ), die Untersuchungshaft, möglicherweise sogar die außerprozessuale Belastung der Angeklagten durch Medienberichte sowie die Suspendierung des OB, strafmildernd berücksichtigen.
Aber auch zur Frage, ob überhaupt eine Verurteilung zu erwarten ist, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn jedenfalls aus Perspektive der Verteidigung haben sich die Vorwürfe sämtlich nicht bestätigt, und auch aus der Sicht von regelmäßigen Beobachtern der Hauptverhandlung und der Presseberichterstattung sind zumindest einige der Vorwürfe aus der Anklageschrift nicht überzeugend bestätigt worden.
Somit werden diametral entgegen gesetzte Auffassungen deutlich. Das gilt auch zur zentralen Frage (dazu mein früherer Beck-Blog-Beitrag), ob die im Fokus der Aufmerksamkeit stehenden vielfachen Parteispenden von Verwandten und Mitarbeitern des mitangeklagten Bauunternehmers (vor und nach der Wahl) unterhalb der Transparenzschwelle „legal“ waren oder eine strafrechtlich relevante Umgehung des Parteiengesetzes darstellten. Die Legalität dieser Praxis wird offenbar in dem von der Verteidigung eingebrachten Gutachten meines Münchener Kollegen Saliger behauptet und näher begründet (das Gutachten selbst liegt mir nicht vor). Sollte zutreffen, wie die Verteidigung behauptet, dass ein solches oder ähnliches System von Parteispenden überall in Deutschland üblich sei, dann allerdings würde eine Verurteilung hinsichtlich dieses Tatkomplexes tatsächlich eine Ausstrahlung weit über die Stadt Regensburg hinaus erhalten.
Angesichts der gegensätzlichen Interpretation des Verhaltens der Angeklagten liegt ohnehin die Einlegung einer Revision nahe, unabhängig davon, wie das Urteil ausfällt. Geht es um die Legalität einer in Deutschland verbreiteten Parteispendenpraxis, erhöht sich (wegen der überregionalen Bedeutung) auch die Wahrscheinlichkeit einer Revisionsentscheidung in der Sache. Und in der Revision könnte der BGH sich möglicherweise sogar wieder der Interpretation der Regensburger Staatsanwaltschaft anschließen, es handele sich um Bestechung bzw. Bestechlichkeit.
Update 9.05.2019
Ich bin gefragt worden, ob ich auch eine Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage (Zitat des OB) hätte, konkret: Gibt es eine rationale Erklärung dafür, dass die StA eine hohe Strafforderung auf eine rechtliche Bewertung stützt, die das Gericht offenbar nicht teilt bzw. zu teilen gedenkt? Die Interpretation der Staatsanwaltschaft, die Annahme der hohen Spendengelder (über eine halbe Million Euro) und weiterer Vorteile habe im Zusammenhang nicht nur mit der Dienstausübung des OB im Allgemeinen (Vorteilsannahme) sondern auch mit konkreten Diensthandlungen (etwa Vergabe eines Bauareals an den Bauunternehmer) gestanden, ist nicht völlig abwegig. Auch wenn diese Interpretation vom Gericht nicht geteilt wird, ist es auch weder rechtswidrig noch irrational, diese Rechtsmeinung auch noch am Ende des Prozesses zu vertreten (ebenso wenig wie es irrational ist, wenn ein Verteidiger auf Freispruch plädiert, wenn seiner vertretbaren Ansicht nach kein strafbares Verhalten vorliegt). Die Frage kann auch - wie am Ende meines Beitrags oben angedeutet - durchaus in einer evtl. von der StA eingelegten Revision eine Rolle spielen. Schließlich könnte der BGH sich ja möglicherweise auch der Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft anschließen. Auch das ist keine reine Frage der Taktik, sondern gehört zum Strafprozess, der ja nicht etwa zum Ziel hat, dass am Ende alle Beteiligten übereinstimmen oder mit dem Ergebnis zufrieden sind. Öffentlich geäußerte emotionale Reaktionen gehören (zumindest in diesem Prozess) auch dazu und sind bis zu einem gewissen Grad auch verständlich, wenn auch nicht immer "weise".