BSG: „Arbeitsunfall“ eines Frühchens durch Infektion mit Krankenhauskeim
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Die Infektion eines Frühchens durch Krankenhauskeime qualifiziert als „Arbeitsunfall“, entschied das Bundessozialgericht (BSG) am 07.05.2019 – B 2 U 34/17 R. Das Frühchen ist heute eine inzwischen 27 Jahre alte Betroffene. Sie erhält nun Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Fall
Die Klägerin wurde auf dem Weg zur Uniklinik Rostock im Krankenwagen geboren. Ihre Mutter war damals in der 30. Schwangerschaftswoche. Die ersten zwei Lebenswochen verbrachte das Baby auf der Intensivstation in einem Inkubator. Dort wurde es beatmet und antibiotisch behandelt. Die Therapien wurden beendet nachdem es stabil war und selbständig atmen konnte. Weitere zwei Wochen später traten Probleme auf. Ein Gutachter fand heraus, dass die Klägerin an einer Meningitis erkrankt war. Diese war durch den sogenannten Nass- oder Pfützenkeim (Pseudomonas aeruginosa) hervorgerufen worden. Der Keim ist weit verbreitet. Er ist ein typischer Krankenhauskeim und befindet sich in Leitungswasser, Waschbecken, Toiletten, Wasch- und Spülmaschinen. Außerdem sitzen diese Erreger in Inkubatoren für Frühgeborene, Beatmungs- und Narkosegeräten. Als Folge der Meningitis-Erkrankung war die Klägerin an Armen und Beinen gelähmt.
2003 lehnte die Beklagte, die Unfallversicherung, sowohl die Anerkennung einer Berufskrankheit als auch einen Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII) ab. Dagegen gerichtete Klagen hatten in beiden Vorinstanzen, SG Düsseldorf, Urteil v. 08.04.2016 - S 16 U 172/13 und LSG Essen, Urteil v. 19.09.2017 - L 15 U 326/16, keinen Erfolg. Schwierig war, dass sich der konkrete Infektionsweg im Nachhinein nicht mehr feststellen ließ. Der Gutachter konnte jedoch den Zeitraum auf 24 Stunden eingrenzen. In dieser Zeit hatte sich das Frühchen unstreitig auf der Intensivstation befunden.
Entscheidung des BSG
Das BSG erkannte die Infektion als versicherten Arbeitsunfall an. Patienten, die auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung im Krankenhaus eine Behandlung „erhalten“, stehen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Um einen Unfall handele es sich hier, weil die Keime von außen und plötzlich auf das Baby eingewirkt hätten, entschieden die BSG-Richter.
"Versicherte Tätigkeit" sei die "Entgegennahme" einer Krankenhausbehandlung. Zum versicherten Tätigkeitsbereich gehöre bei einem Frühchen jede denkbare Verrichtung. Schon aufgrund der Hilflosigkeit des Babys bestehe die versicherte Behandlungssituation rund um die Uhr, also während des gesamten Aufenthalts auf der Intensivstation.
Das BSG bejahte auch die Unfallkausalität, die das LSG Essen zuvor verneint hatte. Das LSG begründete die, seiner Auffassung nach fehlende Kausalität damit, dass Unfälle, die allein wesentlich durch eine fehlerhafte Behandlung eines Arztes verursacht würden, keine Arbeitsunfälle seien. Solche Fälle seien durch die private Arzt- oder Krankenhaushaftpflicht abgedeckt. Dem stimmte das BSG grundsätzlich zu. Die höchsten Sozialrichter kritisierten jedoch, dass das LSG einen derart konkurrierenden Kausalverlauf gerade nicht hätte positiv feststellen können. Das Erhalten der Behandlung sei naturwissenschaftlich ursächlich für die Meningitis, auch wenn der konkrete Infektionsweg nicht mehr feststellbar gewesen sei.
Auf andere Krankenhausinfektionen ist das Urteil jedoch nicht übertragbar. Das liegt an der besonderen Situation des Frühchens.
Den Terminbericht des BSG finden Sie hier unter Ziffer 3.