Länder übergeben Jugendschutzregulierung an den Bund – Was muss ein neues Jugendschutzgesetz jetzt regeln?
Gespeichert von Prof. Dr. Marc Liesching am
Dass auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 5.12.2019 einer neuen Medienordnung ohne Jugendschutzmodernisierung zugestimmt worden ist, stellt einen landespolitisch gewollten Auftrag an den Bund dar, nun in einer Erweiterung des Jugendschutzgesetzes die notwendigen regulatorischen Antworten für einen Jugendmedienschutz im 21. Jahrhundert zu geben. 5 Minimalziele muss das neue Jugendschutzgesetz erreichen, damit die Regelung des Jugendmedienschutzes wieder Akzeptanz findet – und dabei verfassungs- und europarechtskonform wird.
Nullus effectus sine lege
Von einem Zettel las die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin auf der Pressekonferenz der MPK ab, was die neue Medienordnung des MStV und des JMStV mit sich bringen soll. Im Anschluss stellte eine Journalistin eine simple Frage zu den konkreten Regelungsinhalten, welche die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten soeben beschlossen hatten. Mit Bezug auf die allgemein gehaltene Bemerkung von Malu Dreyer, dass die Landesmedienanstalten sich zu einer „schlagkräftigen Einheit“ zusammentun würden, wollte die Journalistin wissen, wie das denn aussehen werde: „Werden bestimmte Inhalte gesperrt, gibt es Geldbußen oder wie kann ich mir das vorstellen?“. Die Antwort der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin war in der Sache präzise und korrekt: „Kann ich Ihnen jetzt im Moment nicht beantworten“.
Denn weder der Medienstaatsvertrag noch der in diesem Beitrag im Mittelpunkt stehende Jugendmedienschutz-Staatsvertrag geben neue Antworten darauf, wie aus 14 Landesmedienanstalten, die seit 2003 trotz bestehendem gesetzlichen Auftrag (§ 20 Abs. 4 JMStV i.V.m. § 59 Abs. 4 RStV) keine einzige Sperranordnung getroffen haben und deren zuständiges Organ „KJM“ im Zeitraum von 2 Jahren (März 2017 – Februar 2019) weniger als 2 Jugendschutzverstöße im Internet pro Woche festgestellt hat, eine „schlagkräftige Einheit“ werden soll.
Dies fällt aber im Grunde nicht auf und eigentlich auch kaum ins Gewicht, weil die nun beschlossenen Petitessen im JMStV schon materiell keinerlei Veränderung an dem verkrusteten und nach Mediensparten der 1990er Jahre differenzierenden System bewirken. Wie bereits in einem Beck-Blog-Beitrag ausführlicher dargestellt worden ist, ergeben sich keine strukturellen Veränderungen durch die JMStV-Schein-Novelle.
Die nun gegenüber den fatalen Fehlern des vormaligen Diskussionspapiers korrigierten Regelungen zu Video-Sharing-Diensten – jetzt in § 5a JMStV geregelt – bringen gegenüber §§ 10b ff. TMG-E kaum einen Mehrwert, begründen für die Anbieter aber eher unzumutbare Aufsicht-Doppelzuständigkeiten, die ohnehin für große Anbieter noch neben die NetzDG-Aufsichtsägide des Bundesamts für Justiz treten.
Die Etablierung eines Marktortprinzips in § 2 Abs. 1 S. 2 und 3 JMStV ist aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem Herkunftslandprinzip (Art. 3 ECRL) europarechtswidrig und nicht wirksam. Ungeachtet dessen sendet es wirtschaftspolitisch das Signal an alle Start-Up Unternehmen und Medienanbieter, sich überall in Europa niederzulassen, nur nicht in Deutschland – auch nicht mit Dependancen oder Marketing-Tochterunternehmen. § 2 Abs. 1 S. 2 und 3 JMStV appelliert eher: „Packt die Koffer oder bleibt gleich weg!“ – Denn dann kann man sicher sein, von dem schon jetzt komatösen Jugendschutzvollzug mit Auslandsbezug unbehelligt zu bleiben. Und dem (neuen) NetzDG geht man gleich mit aus dem Weg.
Im Übrigen belässt die Schein-Novelle der Länder den Jugendmedienschutz im letzten Jahrhundert. Sie bildet nicht ansatzweise die seit mehr als 10 Jahren real existierende Medienkonvergenz ab, sondern hält an einer antiquierten Differenzierung nach Mediensparten-Artefakten fest, an die jeweils unterschiedliche Verfahren und Rechtsfolgen geknüpft werden.
Länderauftrag an den Bund
Der auf der Ministerpräsidentenkonferenz bewusst geleistete Offenbarungseid gegen den Jugendmedienschutz ist im Grunde zu begrüßen. Denn er kann nur als landespolitisch gewollter und konkludent geäußerter Auftrag an den Bund verstanden werden, nun in Erweiterung der bisherigen Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes eine zeitgemäße, medienkonvergente Regulierung zu schaffen.
Dass die Bundesländer bewusst die medienkonvergente Jugendschutzregulierung dem Bund überantworten wollen, ergibt sich dabei gerade aus dem nun vollzogenen weitgehenden Novellierungs- und Modernisierungsverzicht im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Zudem haben die Länder bei den Marginalien der JMStV-Novelle von vorneherein den Bund in keinem Stadium einbezogen, was ebenfalls darauf hindeutet, dass man die „große Lösung“ einer umfassenden Regulierung im JuSchG vorbehalten wollte. Auch der Umstand, dass bei den befassten Referentinnen und Referenten sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretären auf Landesebene eine hohe Fachexpertise und Erfahrung im Jugendmedienschutz anzunehmen ist, spricht dafür, dass der Regulierungsverzicht in der JMStV-Schein-Novelle nicht darauf zurückzuführen ist, dass die Länder „nicht können“, sondern dass sie vielmehr nicht wollten.
Mindestvoraussetzungen einer zeitgemäßen Jugendschutzregulierung auf Bundesebene
Der Bund, insbesondere das BMFSFJ, steht nun in der besonderen Verantwortung, den Regulierungsauftrag der Bundesländer für einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz in einem Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes umzusetzen. Dabei ist es voraussichtlich die letzte Chance, einen wirklich medienkonvergenten und der Medienrealität entsprechenden Jugendmedienschutz im 21. Jahrhundert zu etablieren, der in der Gesellschaft – sowohl bei Eltern, Kindern und Jugendlichen als auch bei Anbietern – Akzeptanz findet.
Unabdingbar erscheinen hierfür 5 Mindestanforderungen an eine JuSchG-Novelle:
1. Echte Medienkonvergenz
Im Jugendschutzgesetz darf keine Differenzierung nach antiquierten Mediensparten aufrechterhalten werden. Es muss anerkannt werden, dass für den Jugendschutz unerheblich ist, ob ein Film-, Spiel- oder sonstiger Medieninhalt offline oder online verbreitet wird. Sofern gleichwohl unterschiedliche Verfahren und Rechtsfolgen aufrechterhalten würden, ergäbe sich eo ipso die Frage der Verfassungswidrigkeit mit Blick auf Art. 3 GG.
Was online entschieden worden ist, muss auch offline gelten – und umgekehrt. Langwierige Doppelverfahren oder 3-Stop-Shops wie nach dem praktisch kaum noch genutzten JMStV-„Durchwirkungs“-Verfahren über die KJM sabotieren Jugendschutz-Effizienz, -Konsistenz und -Transparenz. Alle etablierten Selbstkontrollen FSF, FSM, FSK und USK sind hinsichtlich ihrer Kompetenzen und der Rechtsfolgen ihrer Entscheidungen zudem gleichzustellen.
2. Einfachheit und Transparenz
Einmal getroffene Entscheidungen einer Online- oder Offline-Selbstkontrolle gelten hinsichtlich der Altersstufe für alle Verbreitungswege und werden einheitlich gekennzeichnet. Jugendschutzinformationen für Eltern, Kinder und Jugendliche sollten neue Interaktionsrisiken berücksichtigen, sind aber einfach zu gestalten und vor Überkomplexität zu schützen. Nur so wird Jugendschutz für Eltern verstehbar – ungeachtet des Verbreitungswegs.
3. Vermeidung von Doppelzuständigkeiten, Verschlankung von Aufsichtsstrukturen
Es bedarf klarer Zuständigkeiten für Anerkennungs-, Überwachungs- und Aufsichtsmaßnahmen und Verfahrenseffizienz, ohne dass es auf Stellungnahmen, Zustimmungen oder Konsultationen anderer Aufsichtsstellen ankommt. Auch hier ist das seit 2003 funktionierende Primat der Selbstregulierung zu beachten und auszubauen. Mehrfachregulierung und Kompetenzüberschneidungen mit Aufsichtsägiden aufgrund NetzDG, TMG und JMStV sind auszuschließen.
4. Stärkung der Selbstregulierung
Dass durch die AVMD-RL vorgegebene Ziel der Stärkung der Selbstregulierung kann dadurch umgesetzt werden, positive Anreize für Anbieter zu schaffen, ihre Inhalte zu kennzeichnen und selbstregulative Konzepte in ihre Angebote zu integrieren. Dies wäre leicht über Haftungsprivilegierungen in einem Stufenmodell umzusetzen, welches auch automatisierte Alterseinstufungen berücksichtigt.
5. Achtung europarechtlicher Binnenmarktprinzipien
Die Beachtung der Dienstleistungsfreiheit und des Herkunftslandprinzips nach Art. 3 ECRL sind zwingend. Die nationalstaatliche Umsetzung der europarechtlichen Standards eröffnet erst die Niederlassungsoption Deutschland für Start-Up Unternehmen und Medienanbieter und verhindert, dass deutsche Jugendschutzregulierung weiter zu einer utopischen Filterblase ohne faktischen Regulierungszugriff in einer globalisierten Welt degeneriert.