BGH: Zwangsbehandlung in der Psychiatrie
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Der BGH beschäftigte sich mit der Frage, ob ein psychisch kranker Mann gegen seinen Willen zur Elektrotherapie gezwungen werden kann. In seinem gerade veröffentlichten Beschluss vom 15.01.2020 - Az. XII ZB 381/19 stellten die Bundesrichter klar, dass einem Patienten eine ärztliche Behandlung gegen seinen Willen nur aufgezwungen werden dürfe, wenn sie einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspreche.
Der Fall
Der 26 Jahre alte Patient litt an paranoider Schizophrenie. Diese wurde begleitet von psychotischen Symptomen wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen, einer Autismusspektrumstörung sowie einem ausgeprägten Todeswunsch.
In einer Patientenverfügung hatte der Mann 2015 erklärt, er wünsche vorrangig eine psychotherapeutische Behandlung und nur nachrangig die Behandlung mit, nach Möglichkeit, gering dosierten Neuroleptika. Seit Februar 2018 wurde der Patient wiederholt stationär behandelt. Verschiedene medikamentöse Therapien blieben erfolglos.
Elektrokrampftherapie
Sein Betreuer befürwortete eine Elektrokrampftherapie. Bei der Elekrokrampftherapie wird unter Narkose mittels elektrischer Reize ein Krampfanfall des Gehirns ausgelöst. Dabei wird die Elektrotherapie oft in Serie, in der Regel 8-12 Behandlungen, und meist im Abstand von einigen Tagen durchgeführt. Nach der Stellungnahme der Bundesärztekammer gilt diese Therapie bei bestimmten schweren Depressionen als Therapie der ersten Wahl. Für Patienten mit Schizophrenie gibt es keine solche eindeutige Empfehlung.
Die behandelnde Uniklinik lehnte die zwangsweise Durchführung einer Elektrokrampftherapie ab. Die Ärzte dort befürchteten, dass durch den Einsatz von Fixierungen und körperlichem Zwang das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstört werden könnte.
Auf Basis eines neuen Sachverständigengutachtens billigten das Amts- und auch das Landgericht Heidelberg die Behandlung und gestatteten dem Betreuer des Patienten in die Elektrotherapie einzuwilligen. Dies notfalls auch mittels Festalten oder einer 3- bis 5-Punkt-Fixierung.
Dagegen legten der Mann und seine Mutter erfolgreich Beschwerde ein. Nach § 1906 a Abs. 1 Nr. 1 BGB darf ein Betreuer einer Zwangsbehandlung nur zustimmen, wenn diese „zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden.“ Die höchsten Bundesrichter stellten klar, dass als "notwendig" nur solche Behandlungen angesehen werden können, deren Durchführung von einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens getragen werde. Dies gelte sowohl für die Therapie als auch für deren Durchführung unter Zwang.
Medizinisch-wissenschaftlicher Konsens
Die Richter in Karlsruhe sahen weder in den Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer noch in den von den medizinischen Fachgesellschaften erstellten Leitlinien einen tragfähigen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens für die Elektrokrampftherapie. Befürwortet werde die Therapie nur dann, wenn die Schizophrenie von Krämpfen oder depressiven Verstimmungen mit Suizidalität begleitet werde. Das sei aber hier nicht der Fall, argumentierten die Richter. „Die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme ist daher im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig“, entschied der BGH.