Entschädigungsansprüche gegen den Staat: frohe Botschaft oder trügerische Hoffnung?
Gespeichert von Dr. iur. Fiete Kalscheuer am
Der Kollege Niko Härting ist guten Mutes: Er sei
der festen Überzeugung, dass Gastronomen, Hoteliers, Einzelhändler und viele andere, die von Schließungen betroffen sind, Entschädigungsansprüche haben. #Corona.
Härting hat dabei Entschädigungsansprüche gegen den Staat nach dem IfSG oder nach staathaftungsrechtlichen Grundsätzen im Blick. Dieser Blogbeitrag widmet sich der Frage, ob und wenn ja, inwieweit die Überzeugung Härtings geteilt werden kann, dass vorliegend Entschädigungsansprüche gegeben sind. Wie so oft in den Rechtswissenschaften hängt dies vom Einzelfall ab.
Mögliche Ansprüche bei rechtswidrigen Maßnahmen
Sollten die Verwaltungsgerichte zum Ergebnis gelangen, das betreffende Verbot sei rechtswidrig, so kommt ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 I BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht, wenn der jeweilige Betroffene mit allen rechtlichen Mittel zuvor gegen das Verbot selbst vorgegangen ist. Daneben könnte in diesem Falle auch ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gegeben sein, der noch nicht einmal Verschulden voraussetzt.
Ansprüche bei rechtmäßigen Maßnahmen?
Neben dem Amtshaftungsanspruch und dem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff bestehen indes ebenso bei rechtmäßigen Maßnahmen der Behörden Entschädigungsregelungen.
Sofern die Behörden die betreffenden Verbote aussprechen, um die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie zu bekämpfen, kommt auf den ersten Blick als Entschädigungsregelung die Vorschrift des § 65 IfSG in Betracht.
§ 65 IfSG nicht einschlägig
Bei der Entschädigungsregelung des § 65 IfSG ist unter anderem eine Entschädigung in Geld zu zahlen, wenn ein nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird. Allerdings sieht die Regelung des § 65 IfSG eine Entschädigung nur für Maßnahmen nach den §§ 16 und 17 IfSG vor, nicht aber für Maßnahmen nach § 28 IfSG.
Während § 16 IfSG lediglich allgemeine Maßnahmen zur Verhütung der Verbreitung von Infektionskrankheiten betrifft, regelt § 28 IfSG Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. In den bisher dazu entschiedenen Fällen sind sich die Verwaltungsgerichte darin einig, dass die Verbote zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie auf § 28 IfSG gestützt werden können. Unlängst wurde dies für eine Regelung in Bayern vom VGH München in einer Entscheidung vom 30.03.2020 (20 CS 20.611) bestätigt. Ein Anspruch aus § 65 IfSG scheidet damit aus.
§ 56 IfSG grundsätzlich nicht einschlägig
Ein Anspruch aus § 56 IfSG kommt grundsätzlich ebenfalls nicht in Betracht. Um eine Entschädigung nach § 56 IfSG zu erhalten, muss die betroffene Person Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern sein.
Krankheitsverdächtiger in diesem Sinne ist nach § 2 Nr. 5 IfSG eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen.
Ausscheider ist nach § 2 Nr. 6 IfSG eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein.
Ansteckungsverdächtiger ist nach § 2 Nr. 7 IfSG eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.
Von einer derartigen Betroffenheit ist nur im Einzelfall – und dann auch nur vorübergehend - auszugehen, sodass in der Vielzahl der Fälle eine Entschädigung auf Grundlage des § 56 IfSG nicht in Betracht kommt. Ungeklärt ist, ob in diesen Fällen eine Analogie oder verfassungskonforme Erweiterung des § 56 IfSG möglich ist.
Anspruch nach den Grundsätzen zum enteignenden Eingriff?
Der Großteil der Hoffnungen beruht somit auf einem Entschädigungsanspruch nach den Grundsätzen zum enteignenden Eingriff, welcher aus §§ 74, 75 EALR und Gewohnheitsrecht abgeleitet wird (vgl. BGH Urt. v. 29.03.1984 – III ZR 11/83).
Unter einem enteignenden Eingriff ist eine an sich rechtmäßige Maßnahme einer Behörde zu verstehen, welche als unbeabsichtigte Nebenfolge unmittelbar auf eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition einwirkt. Es handelt sich dabei somit um Sonderopferlagen, die meist als atypische und unvorhergesehene Nebenfolgen rechtmäßigen hoheitlichen Verhaltens, nicht aber durch Enteignungseingriffe durch oder auf Grund Gesetzes entstanden sind.
Eine Anspruch aus einem enteignenden Eingriff könnte vorliegend daran scheitern, dass die betreffenden Verbote auf einer Rechtsgrundlage gründen (§ 28 IfSG) und der damit einhergehende Eingriff nicht eine atypische oder unvorhergesehene Nebenfolge des rechtmäßigen hoheitlichen Verhaltens darstellt. Hinderlich für das Bejahen einer Sonderopferlage ist auch, dass es hier nicht um individuelle Fälle geht, sondern um eine Vielzahl von Fällen. So entschied der BGH im Urteil vom 19.02.1953 (III ZR 208/51), dass ein Sonderopfer dann nicht gegeben sei, wenn das Gesetz bewusst eine Pflichterfüllung fordere und von den Betroffenen verlange, die nachteiligen Folgen hinzunehmen, die die gesetzlich angeordneten Maßnahmen für alle oder einen unbegrenzten Kreis von ihnen haben. Es erscheint möglich, dies vorliegend ähnlich zu sehen.
Fazit
Entschädigungsansprüche gegen den Staat werden sich nach der derzeitigen Rechtslage im Regelfall nicht ohne Weiteres durchsetzen lassen. Allerdings ist jeder Einzelfall es wert, auf Entschädigungsansprüche hin geprüft zu werden. Die Hoffnung stirbt zuletzt.