Quarantäne-Verweigerer zwangsweise in die Psychiatrie?
Gespeichert von Markus Meißner am
Es war eine Pressemeldung vergangenen Freitag (10.04.2020), die in der Öffentlichkeit zu einiger Aufregung und insbesondere in den sozialen Medien zu kontroversen Diskussionen führte.
Unter der Überschrift „Härtere Strafen für Quarantäne-Verweigerer“ berichtete der mdr Aktuell in seiner Onlineausgabe vom 10.04.2020 über bestehende Pläne in Sachsen, im Falle von Quarantäne-Verweigerern „die von den Gesundheitsämtern angeordneten Maßnahmen mit Zwang durchzusetzen“. Hierzu sei es möglich, „diese Menschen mit einem richterlichen Beschluss in einem geschlossenen Teil eines Krankenhauses unterzubringen“. Die Landesregierung habe zu diesem Zwecke bereits „in vier psychiatrischen Krankenhäusern insgesamt 22 Zimmer freigeräumt“ (vgl. https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/corona-quarantaene-verweigerer-strafen-einsperren-100.html). Andere Medien griffen diesen Bericht umgehend auf und titelten u.a. „Sachsen will Quarantäneverweigerer in Psychiatrien sperren“ (vgl. WELT, online-Ausgabe vom 10.04.2020, https://www.welt.de/politik/deutschland/article207198029/Coronavirus-Sachsen-will-Quarantaene-Verweigerer-in-Psychiatrien-sperren.html).
Auch wenn diese „Pläne“ bereits nur einen Tag später durch den sächsischen Ministerpräsidenden persönlich kassiert wurde, da diese „bei vielen Menschen falsche Sorgen geweckt hätten“ (vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/quarantaene-verweigerer-wegsperren-sachsen-stoppt-plaene-zur-unterbringung-in-psychiatrie/25735202.html) erscheint es doch wert zu sein, einmal den rechtlichen Hintergrund für eine derartige Maßnahme zu beleuchten und zu einer Diskussion einzuladen.
§ 30 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) als Rechtsgrundlage
Die Vorschrift des § 30 Abs. 2 IfSG („Quarantäne“) lautet wie folgt:
„Kommt der Betroffene, den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nach oder ist nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird, so ist er zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern. Ansteckungsverdächtige und Ausscheider können auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden. Das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt entsprechend.“
Bereit an dieser Stelle kann festgehalten werden, dass das Gesetz ausdrücklich nicht von „Psychiatrien“, sondern von „einem abgeschlossenen Krankenhaus oder abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses“ spricht und hinsichtlich der "Einrichtung", in welcher die „Absonderung“ erfolgen kann, das Gesetz innerhalb der/den betroffenen Personen bzw. Personengruppen differenziert. Weiterhin kommt eine derartige Maßnahme nur subsidiär zu einer zunächst „freiwilligen Quarantäne“ (§ 30 Abs. 1 IfSG) in Betracht.
Legaldefinition der von der Maßnahme potentiell Betroffenen in § 2 IfSG
Aus § 30 Abs. 1 i.V.m. § 2 IfSG ergeben sich folgende Personen bzw. Personengruppen, die von einer Maßnahme des § 30 Abs. 2 IfSG betroffen sein können:
- „Kranker“ („eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist“)
- „Krankheitsverdächtiger“ („eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen“)
- „Ausscheider“ („eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein“)
- „Ansteckungsverdächtiger“ („eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein“)
Entgegen der ursprünglichen Erwartung verlangt das Gesetz hier keinen – durch einen entsprechenden Test – nachgewiesenen Corona-Fall. Vielmehr genügt hier auch der Kontakt zu einer (nachgewiesen) infizierten Person, auch wenn der Betroffene selbst keinerlei Krankheitssymptome aufweist („Ansteckungsverdächtiger“).
Inmitten stehende Grundrechte und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Bereits die Eingriffsnorm des § 30 Abs. 2 S. 3 IfSG nennt ausdrücklich das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 S. 2 GG), welches „insoweit eingeschränkt“ werden könne.
§ 30 Abs. 3 IfSG, der Regelungen für den Zeitraum der Absonderung enthält, nennt daneben noch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG („körperliche Unversehrheit“„Grundrecht des Brief- und Postgeheimnisses“
Aufgrund ihres massiv grundrechtseingreifenden Charakters kommt eine Maßnahme nach § 30 Abs. 2 IfSG unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überhaupt nur dann in Betracht, wenn es kein anderes, milderes Mittel gibt ("ultima ratio-Grundsatz"). So ist die Anordnung einer „freiwilligen Quarantäne“ gem. § 30 Abs. 1 IfSG stets vorrangig. Der Verstoß diese ist strafbewehrt und mit einer Strafandrohung von „Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe“ belegt (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG).
Verfahren richtet sich nach dem FamFG
Hinsichtlich der prozessualen Vorschriften verweist § 30 Abs. 2 S. 4 IfSG ausdrücklich auf das FamFG („Buch 7“ - §§ 415 – 432 FamFG). Demnach setzt eine Maßnahme gem. § 30 Abs. 2 IfSG einen begründeten richterlichen Beschluss voraus, der „die nähere Bezeichnung der Freiheitsentziehung“ sowie „den Zeitpunkt, zu dem die Freiheitsentziehung endet“ beinhaltet (§ 421 FamFG). Dieser ergeht auf begründeten Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde (§ 417 FamFG), dem bereits ein „ärztliches Gutachten“ beigelegt werden soll (§ 420 Abs. 4 S. 2 FamFG). Anzuhören sind vor der Entscheidung regelmäßig der Betroffene (§ 418 Abs. 1, 2 FamFG) sowie ein ärztlicher Sachverständige (§ 420 Abs. 4 S. 1 FamFG). Mangels gesonderter Regelung im IfSG richtet sich die Höchstdauer der Absonderung nach § 425 Abs. 1 FamFG und beträgt damit „ein Jahr“.
Zuständige Verwaltungsbehörde in Bayern sind gem. § 65 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV) die Kreisverwaltungsbehörden.
Offene Fragen - Verfassungsmäßigkeit? Alternativen?
Die durch die Pressmitteilung von vergangenem Freitag ausgelöste öffentliche Diskussion zeigt, wie – zu Recht – sensibel das Thema „zwangsweise Absonderung“ ist. Massive Eingriffe in die Grundrechte des Individuums stehen dem Rechtsgut des „allgemeinen Gesundheitsschutzes“ gegenüber. Im Hinblick auf eine Verfassungsmäßigkeit erscheint nciht unproblematisch zu sein, dass eine Maßnahme nach § 30 Abs. 2 IfSG gerade nicht auf nachgewiesen infektiöse Personen beschränkt ist.
Auf der anderen Seite. Wie ist konkret mit Personen umzugehen, die sich aufgrund behördlicher Anordnung an die Quarantäne halten müssen, dies aber nicht tun und dadurch die Gefahr besteht, dass diese "Leib und Leben" anderer gefährden?