Verkaufsflächenregelung voraussichtlich rechtswidrig? - VG Hamburg auf dünnem Eis
Gespeichert von Dr. iur. Fiete Kalscheuer am
Das VG Hamburg hat mit Beschluss vom 21.04.2020 (3 E 1675/20) festgestellt, dass die betreffende Antragstellerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache ihr Einzelhandelsgschäft betreiben dürfe, ohne die Verkaufsfläche auf 800 m² reduzieren zu müssen. Ich wage die Prognose, dass das OVG Hamburg diese Entscheidung aufheben wird. Schön ist die Entscheidung trotzdem. Sie schreit danach, in einer Examensklausur wieder aufzutauchen. Aus zwei Gründen ist der Beschluss bemerkenswert.
Zum einen ist festzuhalten, dass das VG Hamburg im Rahmen der Berufsfreiheit nach wie vor die Dreistufentheorie anwendet:
Die Anforderungen
an die Verhältnismäßigkeit werden im Rahmen der Berufsfreiheit durch die sogenannte
„Stufenlehre“ näher konkretisiert. Danach ist zu unterscheiden, auf welcher Stufe
der Berufsfreiheit die Regelung ansetzt. Reine Berufsausübungsbeschränkungen, wie vorliegend,
können grundsätzlich durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert
werden.
Es darf also aufgeatmet werden: Einer Examensklausur kann nicht (mehr) entgegengehalten werden, es werde sich auf eine veraltete "Theorie" gestützt.
Noch interessanter sind aber zum anderen die Ausführungen des VG Hamburg zur Geeignetheit:
Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus Verkaufsstellen mit einer 800 m² übersteigenden Verkaufsfläche von der Öffnungsmöglichkeit ausgenommen hat, ist diese Maßnahme nicht geeignet, dem Zweck des Infektionsschutzes zu dienen. (...) Für die Annahme der Antragsgegnerin, dass von großflächigen Einzelhandelsgeschäften eine hohe Anziehungskraft für potentielle Kunden mit der Folge ausgeht, dass allein deshalb zahlreiche Menschen die Straßen der Innenstadt und die Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs benutzen werden, liegt keine gesicherte Tatsachenbasis vor.
Diese Ausführungen sind kaum vertretbar und stehen nicht mit der Rechtsprechung des BVerwG in Einklang, das im bauplanungsrechtlichen Zusammenhang ausdrücklich ausführt, die Größe der Verkaufsfläche habe Auswirkungen auf die Attraktivität eines Einzelhandelsgeschäfts. Beispielhaft sei hierzu auf die Entscheidung des BVerwG vom 24.11.2005 (4 C 10.04 Rn. 14) verwiesen. Das Gegenargument des VG Hamburg, wonach es im Bauplanungsrecht um eine "geordnete Stadtentwicklungsplanung" gehe und deshalb diese Rechtsprechung des BVerwG nicht übertragen werden könne, überzeugt nicht. Was meint denn "geordnete Stadtentwicklungsplanung"? - Dem Bauplanungsrecht geht es unter anderem darum, Unruhe, den großflächiger Einzelhandel und der dazugehörige erhöhte Verkehr auslösen, aus den Wohngebieten herauszuhalten. Anders als das VG Hamburg meint, drängt es sich auf, diesen Gedanken auf den Bereich des Infektionsschutzes zu übertragen: Gibt es keinen großflächigen Einzelhandel, so führt dies zu einem Abnehmen der Anziehungskraft des Standortes, was wiederum zur Folge hat, dass sich weniger Menschen an diesem Ort tummeln. Das VG Hamburg verkennt dies.
UPDATE: Das OVG Hamburg hat die Entscheidung des VG Hamburg mit Beschluss vom 30.04.2020 (5 BS 64/20) aufgehoben. Die 800 m²-Verkaufsflächenregelung hat damit Bestand.