Regensburger Parteispendenaffäre: Ehemaliger Oberbürgermeister verurteilt
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Gerade komme ich zurück aus dem Gerichtssaal 104 des Regensburger Landgerichts, in dem heute knapp ein Jahr nach dem ersten Urteil das zweite Urteil gesprochen wurde in der Regensburger Affäre um möglicherweise rechtswidrige Parteispenden und angebliche Bestechlichkeit bzw. Vorteilsannahme des ehemaligen Oberbürgermeisters.
Wegen der Pandemie sind nur noch knapp 20 Zuhörer (neben 20 Pressevertretern) eingelassen worden, wodurch ein unangenehmes Gedränge am Eingang aber nicht verhindert, sondern eher noch befördert wurde. Das Gericht hatte auf Abstandsmarkierungen auf der Straße verzichtet, so dass sich vor dem Eingang Trauben bildeten.
Das Urteil lautete 1 Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, für den angeklagten früheren Oberbürgermeister und eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen für den mitangeklagten Unternehmer. Dabei ging es jeweils nur um einen der Anklage-Vorwürfe. Wegen aller weiteren Tatvorwürfe wurden die Angeklagten freigesprochen.
Ich schicke voraus, dass ich diesen Prozess nur noch über die Presseberichterstattung, also nicht direkt die Hauptverhandlung im Saal verfolgt habe. Die Verteidigung hat in ihrer ersten Reaktion bereits angemahnt, die Würdigung sei in den Tatsachen nicht der Beweisaufnahme gerecht geworden. Mein kleiner Kommentar bezieht sich nur auf die innere Schlüssigkeit der Urteilsbegründung, nicht darauf, ob ich die Beweise ebenso gewürdigt hätte. Unabhängig davon bezieht sich mein Kommentar ohnehin nur auf die rechtlichen Aspekte.
I. Urteil gegen den ehem. Oberbürgermeister
1. Freisprüche
Der Angeklagte wurde wegen sämtlicher Vorwürfe, die sich auf Spenden während des Wahlkampfs bis zur Stichwahl bezogen, freigesprochen. Das ist eine Übereinstimmung mit dem Urteil im ersten Verfahren. Beide Strafkammern haben es im Ergebnis als nicht strafbar angesehen, dass der damals dritte Bürgermeister als Amtsträger im Wahlkampf um den Posten des Oberbürgermeisters sehr großzügige Spenden von Immobilienunternehmern angenommen hat, mit deren Projekten er als Oberbürgermeister (zwangsläufig) zu tun hatte. Insofern folgen beide Urteile der Kremendahl I-Rechtsprechung, dass ein Amtsträger bei Wahlkampfspenden sich nur eingeschränkt wegen Vorteilsannahme strafbar machen kann. Ausschlaggebend für das Ergebnis war nach der heutigen Urteilsbegründung, dass die Kammer eine Unrechtsvereinbarung im Hinblick auf konkrete Projekte als nicht bewiesen ansah. Selbst wenn die jeweiligen Spender dies beabsichtigten, sei aus der Sicht des Annehmenden eine solche Verknüpfung nicht erkannt worden. Die Begründung des Gerichts war insofern schlüssig, widersprach aber in weiten Teilen der Würdigung der Staatsanwaltschaft.
Wegen der Kremendahl-Rechtsprechung des BGH, die nicht (wie manchmal missverstanden wird) eine Belastung, sondern eine Begünstigung eines im Wahlkampf stehenden Amtsträgers mit sich bringt, genügte es hier nicht zur Strafbarkeit, dass die Spenden die Dienstausübung des (künftigen) Amtsträgers im allgemeinen betrafen, wie es sonst für eine Vorteilsannahme ausreicht.
Insbesondere wurde auch eine als Zahlung einer Rechnung verschleierte Spende als strafrechtlich bedeutungslos beurteilt, weil sie nicht mit einer konkreten Diensthandlung verknüpft war. Der darin zugleich liegende Verstoß gegen das Parteiengesetz sei bereits durch das erste Urteil erfasst gewesen und durfte (wegen ne bis in idem) nicht mehr beachtet werden.
In der Anklage war dem Oberbürgermeister auch Untreue vorgeworfen werden, da seine Partei, die SPD möglicherweise wegen falscher Rechenschaftsberichte Strafzahlungen leisten müsse. Diesen Vorwurf sah das Gericht in der Sache als nicht begründet an.
Das Gericht sah auch weder Vorteilsannahme noch Bestechlichkeit in der Annahme einer 5000 Euro Spende, die auf der Seite des Mitangeklagten als Bestechung beurteilt wurde (s.u.). Der Erlanger Unternehmer R., der kurz vor der Stichwahl damit die (künftige) Erweiterung der Einzelhandelsfläche am „nördlichen Rübenhof“ fördern wollte, war in einem abgetrennten Verfahren wegen Bestechung verurteilt worden. Das Gericht meinte, der entsprechende Bestechlichkeitsvorwurf gegen den - damals noch nicht gewählten - Oberbürgermeister sei in der Verhandlung nicht nachgewiesen worden.
2. Verurteilung
Der ehem. Oberbürgermeister wurde wegen Bestechlichkeit verurteilt. Der angenommene Vorteil soll hier ebenfalls in Parteispenden (in Höhe von ca. 75.000 Euro) liegen. Allerdings sind diese erst nach der Wahl zum Oberbürgermeister gewährt worden, weshalb die Kremendahl-Rechtsprechung hier den Amtsträger nicht schützt. Zudem sah das Gericht hier sogar eine unmittelbare Verknüpfung mit einem konkreten Projekt des Spenders, die Bebauung des Gebiets „Auf der Platte“. Der betr. Unternehmer hatte schon im Vorfeld einen Strafbefehl wegen Bestechung akzeptiert und wurde in diesem Prozess als Zeuge gehört. Der Oberbürgermeister habe hier auch persönlich profitiert, weil er dadurch die hohe Schuldenlast durch ein von ihm aufgenommenes und dem Ortverein gewährtes Privatdarlehen zu reduzieren erachtet habe.
Laut mündlicher Urteilsbegründung war für das Gericht bei der Würdigung der zeitliche Zusammenhang ausschlaggebend: Die Bitte um Spende, die Zusage derselben, eine interne Besprechung dieses Projekts und schließlich die Aufforderung des Oberbürgermeisters an die Verwaltung, zur Ermöglichung der Bebauung eine Ortsabrundungssatzung zu entwerfen, seien innerhalb weniger Wochen im Herbst 2015 erfolgt. Der Oberbürgermeister habe sich bei der ihm zustehenden Ermessensentscheidung, ob dort (beschleunigt) eine Bebauung ermöglicht werden sollte oder nicht, bereit gezeigt, sich von der Spende beeinflussen zu lassen (vgl. § 332 Abs.3 Nr.2 StGB). Der ehem. Oberbürgermeister und sein Verteidiger protestierten spontan noch während der Urteilsbegründung, das Gericht habe hierzu die Beweise unzutreffend gewürdigt. Ob die Hauptverhandlung diese Beweiswürdigung tatsächlich stützt, kann ich aus eigenem Wissen nicht beurteilen, in rechtlicher Hinsicht erschien die mündliche Urteilsbegründung insofern schlüssig.
3. Strafzumessung
Der Vorsitzende führte zu Beginn der mündlichen Urteilsbegründung aus, einige der schon im ersten Prozess thematisierten Ermittlungsfehler hätten in diesem Verfahren keine Rolle gespielt. Insgesamt sah sich das Gericht auch nicht veranlasst wegen der Mängel während des Ermittlungsverfahrens, etwa hinsichtlich der von der Verteidigung gerügten einseitigen Ermittlungen durch die Polizei, oder der zu Beginn sehr belastenden Presseberichterstattung zum Oberbürgermeister, ein Verfahrenshindernis wegen Verstoßes gegen den fair-trial-Grundsatz zu bejahen.
Einen strafmildernden Verbotsirrtum bei Annahme der Spenden nach gewonnener Wahl - wie im ersten Urteil - hat die Kammer ausdrücklich verneint. Der Angeklagte habe als Oberbürgermeister gewusst , dass diese Spenden nach dem Wahlkampf rechtlich heikel seien ("vollkommen fernliegend, dass er das nicht erkannt hat").
Einige der genannten Aspekte wurden jedoch in der Strafzumessung berücksichtigt. Dabei setzte sich das Gericht insbesondere damit auseinander, dass trotz der hohen Summe kein besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit (§ 335 Abs.2 Nr. 1 StGB) vorliege. Die Strafe wurde daher letztlich aus dem Strafrahmen des § 332 StGB gebildet. In diesem Zusammenhang wurde strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte auch persönlich profitiert habe.
Ein Jahr Freiheitsstrafe stellt schon ein schon deutliches Signal dar, jedenfalls im Vergleich zur Strafzumessung im ersten Prozess (Absehen von Strafe nach § 60 StGB), insbesondere wegen der beamtenrechtlichen Folgen.
II. Verurteilung des mitangeklagten Unternehmers Sch.
Der mitangeklagte Immobilienunternehmer Sch. wurde wegen Bestechung in einem Fall zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt. Auch er wurde wegen der Vorwürfe im Zusammenhang seiner (umfangreichen) weiteren Spenden im Wahlkampf freigesprochen – hier sah das Gericht eine Verknüpfung mit künftigen Projekten als nicht hinreichend konkretisiert an. Die oben schon angesprochene 5000 Euro-Spende des Erlanger Unternehmers R. kurz vor der Stichwahl habe Sch. aber initiiert. In der Urteilsbegründung wurde mit Verweis auf einen E-Mail-Austausch zwar eine tatsächliche Verbindung zwischen Sch. und der Spende des R. dargelegt, aber ich bin skeptisch, ob Sch. tatsächlich als (Mit)-Täter dieser Bestechung angesehen werden kann: Inwieweit war er in eine (ohnehin nach Gerichtsinterpretation ja nur einseitig belegbaren) Unrechtsvereinbarung mit dem Oberbürgermeister in spe involviert? Ob die Beweislage für eine allenfalls näherliegende Anstiftung ausreicht, erscheint mir auch nicht ausgemacht.
III. Rechtskraft?
Auch dieses Urteil wird – jedenfalls nach Ankündigung der Verteidigung – angefochten, möglicherweise auch von der Staatsanwaltschaft. Es wird also noch eine Weile dauern (nach evtl. Aufhebung und Rückverweisung noch eine längere Weile), bis die beiden Verfahren einen rechtskräftigen Abschluss finden. Sollten beide Urteile vom BGH aufgehoben werden, was unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist, könnten sie für eine neue Verhandlung vor einer weiteren Regensburger Strafkammer nach § 4 StPO verbunden werden. Ansonsten können nach Rechtskraft beider Urteile die möglicherweise darin ausgesprochenen Strafen rechtlich über § 460 StPO, § 55 StGB zu einer Gesamtstrafe zusammengeführt werden.
Update 19.06.2020: Etwas irritiert sind manche meiner Gesprächspartner und auch ein Leser (s.u.), dass der Urteilstenor sich offenbar nicht zur Einziehung der Bestechungssumme verhalten hat. Nachdem Gesetzeswortlaut des § 73 StGB ist die Einziehung zwingend und es dürfte nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft unter den Voraussetzungen des § 421 StPO auf eine Anordnung verzichtet werden. Ich erinnere mich jedenfalls nicht, bei der Urteilsverkündung darüber etwas wahrgenommen zu haben, will aber ein "Überhören" auch nicht völlig ausschließen. Allerdings sind die Spenden nicht direkt an den ehem. OB, sondern an den Ortsverein der SPD gegangen. Daher könnte das Gericht hier von einem Fall des § 73 b Abs.1 Nr.1 oder Nr. 2 lit. a ausgegangen sein, da die Spenden ja an einen nicht an der Tat beteiligten Dritten ging. Diesbezüglich kann hier ggf. eine Einziehung selbstständig angeordnet werden, also ohne Erwähnung im Urteilstenor (§ 76 a StGB).
[Vorsorglich einem naheliegenden Einwand begegnend: Die (neuen) Vorschriften §§ 73 ff. StGB gelten auch rückwirkend für früher begangene Taten, vgl. Art. 316h EGStGB].