BVerfG: Regelungen zur Bestandsdatenauskunft verfassungswidrig
Gespeichert von Dr. Axel Spies am
Das BVerfG hat heute § 113 TKG und mehrere Fachgesetze des Bundes, die die manuelle Bestandsdatenauskunft regeln, für verfassungswidrig erklärt (1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13). Die Vorschriften verletzen Inhaber von Telefon- und Internetanschlüssen in ihren Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Wahrung des TK-Geheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG).
Hintergrund:
Die manuelle Bestandsdatenauskunft ermöglicht es den deutschen Sicherheitsbehörden, von TK-Unternehmen Auskunft insbesondere über den Anschlussinhaber eines Telefonanschlusses oder einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse zu erlangen. Das TK-Unternehmen teilt dann die personenbezogenen Daten der Kunden, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen stehen (sogenannte Bestandsdaten) mit.
Nicht mitgeteilt werden dagegen Daten, die sich auf die Nutzung von Telekommunikationsdiensten (Verkehrsdaten) oder die Inhalte von Kommunikationsvorgängen.
Entscheidung:
Die Erteilung einer Auskunft über Bestandsdaten sei grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber muss aber für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter als auch für den Abruf dieser Daten durch die Behörden jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen schaffen. Übermittlungs- und Abrufregelungen müssen die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, indem sie insbesondere tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz vorsehen.
Das BVerfG hat auch klargestellt, dass die allgemeinen Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf von Bestandsdaten trotz ihres gemäßigten Eingriffsgewichts für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts bedürfen. Eine Auskunft über Zugangsdaten darf nur dann erteilt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Nutzung gegeben sind.
Kurzkommentar:
Interessant ist, was das BVerfG zum hier im Blog schon mehrfach diskutierten Thema Vorratsdatenspeicherung ausführt. Das BVerwG hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht der Vorratsdatenspeicherung in der Ausgestaltung durch §§ 113a f. TKG entgegensteht (BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - und - 6 C 13.18 -). Formell gelten die Speicherungspflichten der Diensteanbieter weiter, wenngleich in Reaktion auf eine Erklärung der BNetzA die Diensteanbieter vorerst davon absehen, die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen.
Das BVerfG stellt im Beschluss von heute folgendes fest:“ Auch wenn die angegriffenen Vorschriften teilweise angesichts des Art. 15 RL 2002/58/EG oder des Art. 6 DSGVO (vgl. oben Rn. 85–87) als Durchführung des Unionsrechts im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh anzusehen sein sollten, gibt es schon keine konkreten und hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Grundrechte des Grundgesetzes in der vorliegenden Auslegung das Schutzniveau der Grundrechtecharta der Europäischen Union in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im hier zu entscheidenden Fall nicht mit gewährleisten könnten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 -, Rn. 67 ff.). Insbesondere ergeben sich solche Anhaltspunkte nicht aus den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie (EuGH, Urteil vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland und Seitlinger u.a., C-293/12 u.a., EU:C:2014:238) und zu Vorratsdatenspeicherungsbefugnissen der Mitgliedstaaten (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016, Tele2 Sverige und Watson u.a., C-203/15 u.a., EU:C:2016:970). In diesen Entscheidungen ging es um die Anforderungen an eine innerstaatlich vollständige Erfassung sämtlicher Telekommunikationsverbindungsdaten, die nahezu lückenlose Persönlichkeitsprofile einzelner Kommunikationsteilnehmer ermöglichen. Hiervon unterscheidet sich die bloß mittelbare und punktuelle Verwendung von Verkehrsdaten bei der Zuordnung dynamischer IP-Adressen grundlegend. Auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Ministerio Fiscal“ (EuGH, Urteil vom 2. Oktober 2018, Ministerio Fiscal, C-207/16, EU:C:2018:788) ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein über die Grundrechte des Grundgesetzes hinausgehendes Schutzniveau der Grundrechtecharta. Klargestellt wurde dort vielmehr, dass der Zugang öffentlicher Stellen zu bei Diensteanbietern gespeicherten Bestandsdaten nicht als derart schwerer Grundrechtseingriff angesehen werden kann, dass er nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität zulässig wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 2. Oktober 2018, Ministerio Fiscal, C-207/16, EU:C:2018:788, Rn. 63; vgl. auch EGMR, Breyer v. Germany, Urteil vom 30. Januar 2020, Nr. 50001/12, §§ 95, 101 (nicht endgültig)). Es ist nicht ersichtlich, dass der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes hier das Schutzniveau der Grundrechtecharta der Europäischen Union im Rahmen eines auf Vielfalt angelegten Grundrechtsschutzes in Europa nicht gewährleistet (vgl. auch BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2835/17 -, Rn. 326).
Was meinen Sie: Bedeutet diese Aussage, dass eine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland in diesen Grenzen verfassungsgemäß ist?