TikTok-Verbot: nun auch in Deutschland?
Gespeichert von Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker am
Dr. Dennis-Kenji Kipker/Michael Walkusz
Die indische Regierung hat im Juni 2020 die Kurzvideo-Plattform „TikTok“ sowie 58 weitere Apps von chinesischen Anbietern verboten und unzugänglich gemacht. Begründet wurde dies mit der Gefährdung der Souveränität, Landesverteidigung, staatlicher Sicherheit und öffentlicher Ordnung des Staates. Berichten zufolge sollen Nutzerdaten von den Apps auf Server außerhalb des Landes übertragen worden sein. Aus dem gleichen Grund haben auch schon die Vereinigten Staaten über ein solches TikTok-Verbot nachgedacht, insbesondere auch deshalb, weil bereits seit vergangenem Jahr der Ausschluss des chinesischen Smartphone-Anbieter Huawei politisch diskutiert wird.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und inwiefern ein solches „TikTok-Verbot“ auch in Deutschland realisiert werden könnte. Um eine (rechts)grundlose Benachteiligung eines App-Anbieters zu vermeiden, dürfen solcherlei staatliche Eingriffe keinesfalls willkürlich erfolgen. Es bedarf vielmehr einer zuverlässigen Sachverhaltsaufklärung und einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Denkbar wäre zunächst die Durchsetzung von telekommunikationsrechtlichen Vorschriften: § 115 Abs. 1 TKG berechtigt die Bundesnetzagentur (BNetzA), erforderliche Maßnahmen zu treffen, um das Fernmeldegeheimnis der Telekommunikationsanbieter sicherzustellen, notfalls auch gemäß § 115 Abs. 3 TKG die Erbringung von Dienstleistungen durch den Telekommunikationsdienst zu untersagen. Fraglich dürfte allerdings sein, ob diese Vorschrift auf ein soziales Netzwerk wie TikTok überhaupt anwendbar ist. So hat der EuGH entschieden, dass sogenannte „Over-The-Top“-Dienste, namentlich Google Mail, nicht unter dem Begriff des Telekommunikationsdienstes fallen. Auch im Fall TikTok wird die Eigenschaft als Telekommunikationsdienst daher wohl verneint werden müssen. Denn der Nutzungsschwerpunkt TikToks ist nicht die Weiterleitung privater Nachrichten, sondern das Teilen und Browsen von Inhalten. Wenn schon Google Mail, dessen Schwerpunkt tatsächlich auf der Überbringung von privaten Nachrichten liegt, kein Telekommunikationsdienst ist, dann wird dies auch erst recht bei TikTok gelten müssen.
Ferner könnte man noch beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gemäß § 5a Abs. 1 BSIG die rechtliche Grundlage für ein App-Verbot sehen. Die Vorschrift erlaubt es dem BSI, im Falle der Beeinträchtigung eines IT-Systems des Bundes oder einer Kritischen Infrastruktur, die zur „Wiederherstellung der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit des betroffenen IT-Systems erforderlichen Maßnahmen zu treffen“. Würde eine App eines ausländischen Anbieters tatsächlich die Integrität und Diskretion der Informationsabläufe von Einrichtungen des Bundes gefährden, so könnte man auch hier, natürlich im Rahmen der Grenzen des Ermessens, über ein Verbot nachdenken. Allerdings wird dies wohl nicht der Fall sein: Denn eine solche App dürfte in der Regel wohl nicht mittels IT-Einrichtungen des Staates genutzt werden, sodass eine spähende App nur Endgerät-Nutzer treffen würde und die Vorschrift als mögliche Verbotsgrundlage somit auch hier nicht anwendbar wäre.
Weiterhin verpflichtet die EU in der CPC-Verordnung (2017/2394) die Mitgliedsstaaten, zum Zwecke des Schutzes der Verbraucher die zuständigen Behörden dazu zu befähigen, die Einstellung von Verstößen gegen den Unternehmer anzuordnen (Art. 9 Abs. 4 lit. e) und notfalls auch durchzusetzen (Art. 9 Abs. 4 lit. f). Eine solche Dursetzung in Form einer landesweiten Sperrung der App könnte denkbar sein. Es ist aber auch hier fraglich, ob diese Vorschrift für ein wortwörtlich zu nehmendes TikTok-Verbot tauglich ist. Denn die Verordnung dient gerade dazu, den Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verbrauchers zu fördern (Art. 1). Die Verhinderung der Ausspähung durch eine App wäre allerdings kein spezifisches Verbraucherproblem, sondern ein Problem der nationalen und öffentlichen Sicherheit – wie es gegenwärtig auch öffentlich kommuniziert wird –, sodass auch hier erhebliche Zweifel an der CPC-Verordnung als Eingriffsgrundlage bestehen.
Schließlich verbleibt noch die Möglichkeit, auf das allgemeine Polizeirecht zurückzugreifen. Allerdings müssen auch hier die Sachverhaltsaufklärung und die Grenzen des Ermessens bedacht werden. Das bedeutet zwangsläufig, dass ein App-Verbot nicht auf bloßen Gerüchten beruhen darf, sondern tatsächliche Hinweise dahingehend vorliegen müssen, dass durch die App sensible Daten an unbefugte Dritte weiteregegeben werden. Hierbei ist ein Gefahrenverdacht grundsätzlich ausreichend. Ist eine solche App weit verbreitet, so kann man in der Tat von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit sprechen. Jedoch muss im Rahmen des polizeilichen Ermessens bedacht werden, zunächst mildere Maßnahmen in Betracht zu ziehen, wie z. B. Warnungen oder Gefahrerforschungseingriffe. Eine andere Problematik wird die bundesweite Durchsetzung sein: Da das Polizeirecht Landesrecht ist, müsste eine solche Maßnahme durch jedes Land einzeln geleistet werden. Da die Bundespolizei im Schwerpunkt mit dem Grenzschutz befasst ist, dürfte man auch mit einer bundespolizeilichen Überlegung wohl kaum zu einer bundesweiten Maßnahme gegen TikTok kommen.
Im Ergebnis also: Es gibt in Deutschland, ähnlich wie in anderen Staaten weltweit, theoretisch verschiedene Rechtsgrundlagen, die zumindest zu einer Beeinträchtigung der Nutzung von TikTok führen können – eine Auswahl wurde vorangehend vorgestellt. Diese Beeinträchtigung wird man aber keineswegs mit einem „Verbot“ gleichsetzen können, wie es teils diskutiert wird. Vergleicht man die Situation mit Indien und den USA, zeigen sich überdies rechtliche und politische Unterschiede: In Indien existiert eine eigenständige Rechtsgrundlage in § 69a des indischen Information Technology Acts, die es erlaubt, aus öffentlichen Interessen Datenverkehr zu blocken. In den USA existiert gegenwärtig keine klare Rechtsgrundlage, die das Verbot der App ermöglicht, hier kämen nur gängige gesetzliche Beschränkungen in Betracht, die die Beeinträchtigung der Nutzung als Nebeneffekt zur Folge hätten, so z. B. Zensur, Urheberschutz und allgemeines nationales Sicherheitsrecht. Und nicht vergleichbar ist das TikTok-Verbot auch mit dem Huawei-Ban: Der „Ban“ betraf vorrangig die Frage, dass US-amerikanische Unternehmen mit Huawei keine Geschäfte mehr tätigen dürfen – die mobilen Endgeräte des Herstellers sind auch in den USA gleichwohl noch verwendbar. Selbst wenn aber ein Staat ein TikTok-Verbot aussprechen sollte, stellt sich die Frage, ob man hierin nicht ebenfalls einen WTO-rechtlichen Verstoß gegen das Prinzip der Meistbegünstigung gem. Art. 1 GATT sehen könnte. Ein auch tatsächlich als solches verstandenes generelles „TikTok-Verbot“ hierzulande ist somit sehr unwahrscheinlich.