Wenn das Strafrecht (wieder einmal) alles richten soll!
Gespeichert von Markus Meißner am
Das ist er wieder, der Ruf in der Politik nach einem härteren Strafrecht.
Diesmal haben sich sowohl Bundeswirtschaftsminister Altmaier als auch der Bayerische Ministerpräsident Söder ganz aktuell für „härtere Strafen bei Verstößen gegen die Corona-Regeln“ ausgesprochen.[1] Es ist anzunehmen, dass in den kommenden Tagen weitere Stimmen in diese Richtung folgen werden. Auslöser mögen hierbei die Bilder einer beträchtlichen Anzahl an Corona-Kritikern sein, die – wie an diesem Wochenende in Berlin – ohne Mund-Nasen-Schutz und ohne Einhalten eines Mindestabstandes gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert haben, während auf der anderen Seite bei einer Vielzahl von Menschen die berechtigte Sorge vor einem erneuten „Lockdown“ im Herbst mit unabsehbaren gesundheitlichen und auch wirtschaftlichen Folgen besteht.
Das Strafrecht als Allheilmittel?
Blickt man in die jüngere Vergangenheit zurück, so ist zu konstatieren, dass es sich hierbei um ein mittlerweile „bewährtes Muster“ handelt. Wird ein gesellschaftliches Problem festgestellt, wird in zunehmendem Maße das Strafrecht als schneller und vermeintlich einfacher „Problemlöser“ in den Blick genommen. Die Liste an Beispielen für die – teils bereits erfolgte, teils unmittelbar bevorstehende - Einführung neuer Strafvorschriften (etwa §§ 114, 115 StGB – Widerstand bzw. tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte; § 184k StGB – Strafbarkeit des Upskirting; § 244 Abs. 4 StGB – Wohnungseinbruchsdiebstahl; Änderung des § 201a StGB – Strafbarkeit des „Gaffens“) oder die Verschärfung bestehender Strafrahmen (vgl. die aktuelle Diskussion um das Sexualstrafrecht) ist lang.
Um nicht falsch verstanden zu werden:
Es handelt sich sowohl bei einer über einen längeren Zeitraum signifikant steigenden Anzahl von Wohnungseinbruchsdiebstählen als auch bei der Behinderung von Rettungsmaßnahmen von Ersthelfern bei Unfällen durch sog. „Gaffer“ um Probleme, auf die eine funktionierende Gesellschaft reagieren muss. Das selbe gilt, wenn das „unverantwortliche Fehlverhalten einer sehr kleinen Zahl von Menschen“[2] die Gefahr birgt, dass die Infektionszahlen wieder zunehmen und es erneut zu weitergehenden Einschränkungen kommt, von denen dann auch die große Mehrheit, die sich an die Corona-Beschränkungen hält, betroffen ist. Die Frage, die sich stellt ist jedoch: Wo sind die empirischen Belege aus der Vergangenheit, dass Strafschärfungen die identifizierten Probleme tatsächlich gelöst haben, jedenfalls zu deren Lösung signifikant beigetragen haben? Lässt sich ein potentieller Straftäter, der ein persönliches Entdeckungsrisiko für sich oftmals ausschließen wird, von einer Straftat abhalten, wenn die Mindeststrafe - wie nunmehr im Falle des Wohnungseinbruchsdiebstahls - nicht 6 Monate, sondern 12 Monate beträgt?
Bereits dies zeigt, dass der Ruf nach dem Strafrecht oftmals zu kurz greift – und der damit einhergehende Aktionismus den Blick auf die tatsächlichen Probleme sogar verstellt.
Vollzugsdefizite als das oftmals viel drängendere Problem
Oftmals wäre viel erreicht, wenn die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft werden würden, statt neue Normen zu schaffen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Haltung der Deutschen Stiftung Patientenschutz in der jüngsten Diskussion um härtere Strafen bei Corona-Verstößen:[3]
„Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält nichts von härteren Strafen bei Verstößen gegen die Corona-Regeln. Deren Chef Eugen Brysch sagte, zuerst müssten Verletzungen der aktuellen Regeln geahndet werden. Und: Die Mehrheit der Menschen achte auf die Hygiene- und Abstandsregeln, eine Minderheit ignoriere die Maßnahmen. In diesen Fällen schauen Polizei und Ordnungsämter aber weg, um Eskalationen zu vermeiden. „So entstehen rechtsfreie Räume und die Ausbreitung des Virus nimmt an Fahrt auf. Für die Hochrisikogruppe ist das brandgefährlich“, warnte Brysch.“
Derselbe Ansatz wurde auch bereits auf dem 67. Deutschen Anwaltstag, der im Jahre 2016 unter dem Motto „Wenn das Strafrecht alles richten soll – Ultima Ratio oder Aktionismus?“ in Berlin stattfand, thematisiert. In der damaligen Pressemitteilung des Deutschen AnwaltVereins, in der der damalige DAV Präsident, Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg zitiert wird, hieß es in diesem Zusammenhang:[4]
„Eine Gesellschaft kann ihre Werte nicht allein mit den Mitteln des Strafrechts durchsetzen, so Schellenberg weiter. Es komme auf die Verhältnismäßigkeit an. Kaum etwas greife so stark in die Freiheit eines Individuums ein, wie die strafrechtliche Sanktion. Daher müsse mit diesem Mittel sehr behutsam umgegangen werden.
Außerdem führt eine permanente Ausweitung des Strafrechts nach Ansicht des DAV zu Problemen bei der praktischen Durchsetzung der Gesetze vor Gericht. In demselben Maße, in welchem der Gesetzgeber eine Fülle von Strafgesetzen erlassen hat, hätten informelle Entlastungsstrategien wie zum Beispiel der Deal in der Strafjustiz zugenommen. "Wenn wir in der Bundesrepublik ein Problem haben, dann ist das kein Regelungsdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit“, so der DAV-Präsident.“
Weiter wurde ausgeführt (a.a.O.):
„Der DAV appelliert an den Gesetzgeber zuerst mit aller Kreativität an „zivile“ Durchsetzungsstrategien zu denken: Warum zwingt der Gesetzgeber Sportveranstalter nicht, effektivere Dopingkontrollen durchzuführen? Warum erlässt der Gesetzgeber stattdessen ein strafrechtliches Anti-Doping-Gesetz?
„Ziel muss es sein, die vorhandenen Möglichkeiten des Strafrechts und anderer Rechtsgebiete auszuschöpfen, statt immer neue Normen zu schaffen“, sagt Schellenberg. Beispiel für Sanktionsmöglichkeiten außerhalb des Strafrechts sind das Ordnungswidrigkeitenrecht, zivilrechtliche Schadenersatzforderungen sowie Auflagen und Zwangsgelder im Verwaltungsrecht.“
Diese Aussagen haben, wie nunmehr auch die jüngste Diskussion zeigt, an Aktualität nichts verloren. Wenn dann nach einer ausführlichen Problemanalyse in einem Bündel an Maßnahmen es für sinnvoll erachtet wird, auch behutsam an „strafrechtlichen Stellschrauben“ zu drehen, so mag dagegen nichts einzuwenden sein. Voraussetzung ist jedoch, dass zuvor der „Wirksamkeitsnachweis“ einer Strafschärfung bzw. der Einführung neuer Straftatbestände erbracht wird. Denn das Strafrecht eignet sich nicht als „Experimentierfeld“ nach dem Motto „Mal machen und dann schauen…“.
[1] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/altmaier-fuer-haertere-strafen-bei-corona-verstoessen,S6PZaN8; https://www.br.de/nachrichten/bayern/markus-soeder-spricht-sich-fuer-haertere-strafen-bei-corona-verstoessen-aus,S6TvfKz
[2] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/altmaier-fuer-haertere-strafen-bei-corona-verstoessen,S6PZaN8
[3] https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-handel-und-finanzen-patientenschuetzer-fordern-ahndung-von-verstoessen-gegen-corona-regeln/26057912.html?ticket=ST-13251735-vhuEB36EWcTGTcatgBRc-ap4
[4] https://anwaltverein.de/de/newsroom/dat-3-16-das-strafrecht-darf-nicht-als-allheilmittel-missbraucht-werden