Streikmobilisierung auf Firmenparkplatz: Verfassungsbeschwerden erfolglos
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Das BVerfG hat mit einem gestern veröffentlichten Beschluss vom 9.7.2020 zwei Urteile des BAG zum Arbeitskampfrecht bestätigt. Die von den Klägerinnen im Ausgangsverfahren eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden von der 3. Kammer des Ersten Senats nicht zur Entscheidung angenommen.
Hintergrund ist ein seit längerer Zeit schwelender Konflikt zwischen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dem Versandhandelskonzern Amazon. Amazon ist nicht tarifgebunden, ver.di kämpft (vor allem im Weihnachtsgeschäft, aber bislang weithin erfolglos) um den Abschluss von Anerkennungs-Tarifverträgen für die einschlägigen Tarifverträge im Einzel- und Versandhandel. Da sich die Logistikzentren häufig "auf der grünen Wiese" befinden, organisierte ver.di auf dem jeweiligen Betriebsparkplatz direkt vor den Haupteingängen Blockaden. Die arbeitswilligen Beschäftigten mussten durch eine Ansammlung von Streikenden hindurchlaufen. Eine klar erkennbar freigehaltene Streikgasse gab es nicht.
Die auf Unterlassung derartiger Arbeitskampfmaßnahmen gerichteten Klagen blieben vor dem BAG erfolglos (BAG, Urt. vom 20.11.2018 - 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402; vom 20.11.2018 - 1 AZR 12/17, BeckRS 2018, 309122; hier im BeckBlog): Eine nach den richterrechtlichen Grundsätzen erlaubte Arbeitskampfmaßnahme könne eine gesetzliche Gestattung iSv. § 858 Abs. 1 BGB sein.
Amazon zog vor das BVerfG, blieb jedoch auch dort ohne Erfolg:
Das Bundesarbeitsgericht hat das Spannungsverhältnis zwischen Eigentumsbefugnissen und Koalitionsfreiheit bei der Beurteilung eines auf das Hausrecht gestützten Unterlassungsanspruchs gegen Arbeitskampfmaßnahmen sodann nachvollziehbar aufgelöst. Dies zu tun, ist in erster Linie Sache der Gerichte. Sie haben hierbei einen weiten Spielraum. Die Grenze liegt bei Auslegungsfehlern, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen. Entscheidend ist allein, dass den grundrechtlichen Wertungen im Ergebnis hinreichend Rechnung getragen wird (...). Das ist hier der Fall. (...) Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn das Bundesarbeitsgericht der Gewerkschaft keine Streikgasse aufgegeben hat. Der Platzbedarf von 65 Personen kann im Verhältnis zur großen Parkplatzfläche keine derartige Beeinträchtigung erzeugen, dass die Beschwerdeführerinnen ihrer Grundrechte, insbesondere aus Art. 14 Abs. 1 GG, vollständig beraubt wären. Vielmehr konnten Arbeitswillige auf dem Parkplatzgelände weiter ihr Fahrzeug abstellen und an ihren Arbeitsplatz gelangen. Sollten sie durch die Ansammlung der Streikenden hindurchgehen müssen, entzieht das den Beschwerdeführerinnen nicht die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Nutzung ihres Parkplatzes.
BVerfG, Beschl. vom 9.7.2020 - 1 BvR 719/19 und 1 BvR 720/19, BeckRS 2020, 18354