Fundstück! Betroffener findet das Gericht blöd: "Ich habe hier auf dem Bauch zu liegen und Ja und Amen zu sagen" und "Es ist ein schöner Tag für sie heute." Darf er sagen!
Gespeichert von Carsten Krumm am
Gerade habe ich aus anderem Grund in den üblichen Datenbanken gesucht. Rein zufällig kam ich an dieser schon 20 Jahre alten Entscheidung vorbei. Etwas überempfindlich war das AG Hagen damals. Der Betroffene hatte eigentlich gar nichts Schlimmes gesagt. Nur eben die beiden Äußerungen oben. Dafür gab es damals ein Ordnungsgeld beim Amtsgericht. Das OLG Hamm hat die Welt dann aber wieder gerade gerückt. Ich denke heute sind die Gerichte nicht mehr so empfindlich:
Die angefochtenen Ordnungsgeldbeschlüsse wären auch aufzuheben gewesen, wenn das Amtsgericht das erforderliche rechtliche Gehör vor Erlass der Beschlüsse gewährt hätte. Der Betroffene hat sich nämlich nicht einer Ungebühr schuldig gemacht, die gemäß §178 Abs. 1 Satz 1 GVG ein Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft rechtfertigen würde.
Ungebühr im Sinn des §178 Abs. 1 Satz 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizförmigen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., §178 GVG Rn. 2 mit weiteren Nachweisen). Zu einem geordneten Ablauf der Sitzung gehört auch die Beachtung eines Mindestmaßes an äußeren Formen und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsatmosphäre (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 370 mit weiteren Nachweisen). Die Ordnungsmittel des §178 GVG können dabei insbesondere als Antwort auf grobe Achtungsverletzungen und bewusste Provokationen eingesetzt werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., §178 GVG Rn. 3). Es muß jedoch nicht jede Störung der Sitzung zugleich einen erheblichen Angriff auf die Würde und das Ansehen des Gerichts enthalten. So kann daher eine Ahndung mit einem Ordnungsmittel nach §178 GVG entbehrlich sein, wenn eine augenblickliche, aus einer gereizten Verhandlungssituation geborene Entgleisung vorliegt (OLG Düsseldorf NStE GVG §178 Nr. 11; OLG Koblenz NStE GVG §178 Nr. 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., §178 GVG Rn. 3). Das wird häufig insbesondere bei Angeklagten oder Betroffenen wegen der durch die Prozesssituation gegebenen emotionalen Belastung der Fall sein. Insgesamt werden die Gesamtumstände für die Wertung eines Verhaltens als Ungebühr zu berücksichtigen sein (so auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 370 für die "Ungebühr" eines Zeugen).
Auf dieser Grundlage ist danach hier eine Ungebühr im Sinn von §178 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht gegeben. Dahinstehen kann, ob in den in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen Äußerungen des Betroffenen gegenüber dem Gericht "Ich habe hier auf dem Bauch zu liegen und Ja und Amen zu sagen" und "Es ist ein schöner Tag für Sie heute" für sich genommen schon die Kundgabe einer Nichtachtung enthalten ist. Jedenfalls enthalten diese Äußerungen nach Auffassung des Senats keinen so erheblichen Angriff auf die Würde des Gerichts und keine so nachhaltige Störung des Verfahrensgangs, dass sie die Verhängung der Ordnungsgelder von jeweils 200 DM rechtfertigen würden. Insoweit ist die Prozesssituation mit zu berücksichtigen. Der Vorsitzende hatte dem Betroffenen, wie dieser zur Begründung seiner Beschwerde vorgetragen hat, nämlich zuvor nahe gelegt, seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückzunehmen, was dieser unter Hinweis auf seine Einlassung abgelehnt hatte. Der Vorsitzende hatte darauf unter Hinweis auf eine mögliche Erhöhung des Bußgeldes nochmals angeregt, den Einspruch zurückzunehmen. Die sodann gemachte erste Äußerung des Betroffenen "Ich habe hier auf dem Bauch zu liegen und Ja und Amen zu sagen" stellte bei dieser Verfahrenssituation dann aber keine Beleidigung des Gerichts, sondern die Reaktion auf die Anregungen des Vorsitzenden und damit die umgangssprachliche Erklärung des Betroffenen, den Einspruch nicht zurücknehmen zu wollen, dar. Jedenfalls war diese Erklärung nicht geeignet, die Würde des Gerichts erheblich zu verletzen. Entsprechendes gilt für die zweite nach Erlass des ersten Ordnungsgeldbeschlusses gemachte Äußerung des Betroffenen "Es ist ein schöner Tag für Sie heute", bei der zusätzlich noch die inzwischen eingetretene Erregung des Betroffenen und die spannungsgeladene Verfahrenssituation zu berücksichtigen sind.
Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 28.11.2000 - 2 Ws 292 und 296/2000