Mord auf der Autobahn?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Auf der A 66 gab es am Samstag einen tödlichen Unfall, der offenbar im Zusammenhang mit einer Rennfahrt stand, an der zwei Lamborghini- und ein Porschefahrer beteiligt gewesen sein sollen. Einer der Fahrer ist noch flüchtig. Eine Frau wurde tödlich, zwei Männer schwer verletzt (Spiegel-Online). Offenbar grausame Folgen eines trotz mehrerer Fälle in den vergangenen Jahren immer noch herrschenden Wahns zum Geschwindigkeits- und Muskelvergleich auf der Straße.
Beteiligte an Autorennen mit tödlichem Ausgang müssen nach dem Kudamm-Raser-Fall eher regelmäßig als ausnahmsweise mit Ermittlungen nicht nur nach dem noch relativ neuen § 315 d StGB rechnen, sondern auch mit Ermittlungen, Anklage und Verurteilung wegen § 211 StGB. Wie eigentlich zu erwarten war, hat die deutliche Betonung, beim Kudamm-Raser-Mordfall handele es sich um einen speziellen Einzelfall, auch nicht zu einer Zurückhaltung bei der öffentlichen Forderung nach Haftbefehlen und Anklageerhebungen "wegen Mordes" geführt.
Das gilt jedenfalls, wenn man den Presseartikeln nach dem tödlichen Autorennen auf der A 66 glaubt, nach dem ein Frankfurter Amtsrichter einen Haftbefehl wegen Mordes erlassen habe. Selbst die seriöse FAZ behauptete in ihrer für die Verbreitung im Netz vorgesehenen Überschrift vorzeitig etwas übermotiviert: „Staatsanwaltschaft erlässt Haftbefehl wegen Mordes“ und formulierte den Tweet so, als gebe es schon eine Anklage (s.o.).
Dass ich – im Einklang mit meinem örtlichen Kollegen Walter – die Mordanklage und -verurteilung im Kudamm-Raser-Fall grundsätzlich kritisiert habe, ist kein Geheimnis (Beck-Blog-Beitrag1; Beck-Blog-Beitrag2). Die deutlich am Einzelfall orientierte Begründung des LG Berlin (Beck-Blog-Beitrag3), die dann letztlich vom BGH auch akzeptiert wurde, erschien aber immerhin im Einzelfall vertretbar (lto-Beitrag).
Aber die psychologischen Folgen für die Praxis in künftigen Fälle habe ich geahnt: Es hat sich nunmehr in den Köpfen der Bevölkerung, der Journalisten, der ermittelnden Polizeibeamten, Staatsanwälte und auch schon der Richter festgesetzt, dass „tödliches Autorennen gleich Mord“ ist. Ob Kudamm oder Autobahn sind aus dieser Sicht nur unterschiedliche Tatvarianten. Mit den Besonderheiten des Einzelfalls kann noch (ggf. erfolgreich) in einer Revisionsbegründung argumentiert werden, bei Ermittlungen, Haftbefehl, Anklageerhebung und möglicherweise sogar LG-Urteil spielt das eine geringere Rolle. Es wird Staatsanwält-inn-en oder Richter-inne-n unter den verbreiteten Annahmen schwerfallen, den Mord nicht zu bejahen, will er oder sie nicht als „zu milde gegenüber Mördern“ gelten. Und in der Tendenz könnte die Beteiligung an KfZ-Rennen, vor ein paar Jahren noch nur ordnungswidrig, nun schnell zum versuchten Mord werden.
Update 18.10.2020
Offenbar war der Mordverdacht (einschließlich Haftbefehl) nun doch etwas voreilig (Welt). Noch nicht einmal, dass es sich um ein "Rennen" handelte, soll jetzt nachweisbar sein (hessenschau). Aber bleibt wenigstens der Einzelraservorwurf (§ 315d Abs.1 Nr.3 StGB) erhalten? Dieser setzt allerdings einen subjektiven Tatbestand voraus, der allein darin besteht, "um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen", was bei fehlendem Tempolimit auf Autobahnen sehr schwierig zu beweisen sein dürfte. Wenn nicht, entfällt möglicherweise auch der Straßenverkehrsgefährdungsvorwurf § 315c, weil dort auch krasse Gefährdungen und tödliche Unfälle durch das "Rasen" auf Autobahnen überhaupt nicht erfasst sind. Es käme darauf an, ob der Unfall beim Überholen passiert ist [§ 315c Abs.1 Nr.2b)]. Ansonsten bliebe es beim Vorwurf des § 222 StGB.
Ich hatte (wie vor mir schon viele andere) bei der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages, als es um die Einführung des § 315d ging, schon darauf hingewiesen, dass damit andere (und häufigere) Fälle mit schweren und schwersten Unfallfolgen nicht erfasst werden können.
Die Regierungspolitiker der GroKo waren anderer Ansicht. Wenn sich demnächst Politiker der SPD oder der CDU beschweren sollten, dass die Justiz die hier Beschuldigten mit "zu" geringer" Strafe davon kommen lässt, sollte man sie darauf hinweisen: Das ist die direkte Folge der "autofahrerfreundlichen" Politik ihrer Bundestagsfraktionen, die bewusst die Lücke in § 315c StGb seit Jahren bestehen lässt.
Update: Ich lasse es nicht mehr zu, dass inzwischen fast jeder meiner Beiträge und Diskussionsanlässe von teilweise abwegigen Kommentaren eines einzelnen Kommentators (teilweise garniert mit Beleidigungen, Nazi-Vergleichen und Volksverhetzung) okkupiert wird. Irgendwann ist es mal genug damit.