Kriminologische Polizeistudie zu politischen Zwecken?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die Frage, ob in der deutschen Polizei ein Rassismus-Problem bestehe, möglicherweise sogar ein „strukturelles“ Problem, wird seit Monaten intensiv diskutiert.
Anlass ist die Aufdeckung, dass auch in Polizeikreisen rechtsextremes Gedankengut ausgetauscht wird/wurde. Wegen Datenschutzverstößen seitens hessischer Polizeibeamter, die rechtsextremistischen Morddrohungen Vorschub geleistet haben sollen, sind Ermittlungen im Gange und für die zum Rechtsextremismus tendierende AfD treten auffällig viele (ehem.) Polizeibeamte auf. Auch einige Polizeieinsätze gegen Menschen, die äußerlich bzw. vom Namen her nicht dem „typischen deutschen Bürger“ entsprechen, gaben Anlass zur Kritik. Das hat einige Politiker, insbesondere aus dem mitte-linken bis grünen Spektrum, veranlasst, die Forderung aufzustellen, sozialwissenschaftlich untersuchen zu lassen, wie verbreitet rechtsextremes, insbesondere rassistisches Gedankengut innerhalb der Institution Polizei sei und ob bzw. inwieweit dieses auch im polizeilichen Alltag, bei Kontrollen und anderen Interaktionen mit der Bevölkerung eine Rolle spiele (Stichwort: „racial profiling“) und ob in der Institution Polizei Rassismus "strukturell" begünstigt werde. Die Absicht, das Phänomen und seine Prävalenz unabhängig zu untersuchen, ist zwar erst einmal zu begrüßen. Aber weitgehend ignoriert werden bislang die grundsätzlichen Tücken sozialwissenschaftlicher Polizeiforschung. Und wenn Politik und Betroffenenvereinigungen sich nun anschicken, die Einzelheiten der Forschung bis zum (vermuteten bzw. befürchteten) Ergebnis schon einmal vorab (mit-) zu bestimmen, wird die Sache sehr schwierig bis unmöglich.
Dass überhaupt in dieser Richtung geforscht werden solle, hat der Bundesinnenminister wochenlang mit Vehemenz abgelehnt. Schon die bloße Ankündigung einer solchen Untersuchung wird von ihm – im Einklang mit Vertretern der Polizeigewerkschaften – offenbar als ehrenrührig zulasten der Institution Polizei empfunden, von unberechtigtem „Generalverdacht“ ist die Rede. Diese grundsätzliche Abwehr polizeiunabhängiger Forschung ist typisch für die insofern „geschlossene“ Institution Polizei und zeigt sich sogar dann, wenn die Forschungsfrage gar nichts ehrenrühriges hat.
Die Polizeiseite – insbesondere die Gewerkschaften der Polizeibeamten – befürworten zwar schon immer Untersuchungen zum eher gegenläufigen Thema, nämlich ob und inwieweit Gewalt gegen Polizeibeamte zugenommen habe, welchen Erfahrungen die Polizeibeamten (überwiegend als Opfer) in ihrem Arbeitsalltag ausgesetzt seien. Klares politisches Ziel ist es dabei, die Gesetzgebung zu verändern, insbesondere die Strafandrohungen zu verschärfen, wenn Polizeibeamte Opfer von Angriffen werden. Das ist in den vergangenen Jahren schon zweimal gelungen (Beitrag von 2017).
(Kurzer Rückblick): Vor elf Jahren wurde schon einmal eine große Untersuchung durchgeführt: Es sollte eine Vollbefragung (!) (nahezu) aller Polizeibeamten in Deutschland stattfinden. Auch damals hat sich aber im Vorfeld recht schnell herausgestellt, dass eine wirklich unabhängige kriminologische Forschung nicht im Sinne der Auftraggeber war. Die Fragen wurden vorab den Polizeigewerkschaftsfunktionären quasi „zur Absegnung“ vorgelegt, und diese fanden einen Teil der Fragen wiederum so ehrenrührig, dass einige Bundesländer ihre vorherige Zustimmung zur Untersuchung empört zurückzogen. Ich habe damals im Beck-Blog dazu geschrieben.
Kriminologische Forschung im Dunkelfeld ist schwierig, soweit es die „Täterseite“ betrifft. Wie häufig gesellschaftlich nicht erwünschte oder gar verbotene Verhaltensweisen bzw. extreme politische Haltungen tatsächlich sind, lässt sich bei direkter Befragung ohnehin nur anonym bewerkstelligen, und selbst dann wird man zuverlässig nur zu relativ harmlosen oder weit zurückliegenden „Taten“ ehrliche Antworten generieren. Geht es aber um eine bestimmte Institution, deren Mitglieder befragt wird, stellt sich - selbst bei ehrlicher Antwortmotivation - für jeden Befragten zusätzlich die Loyalitätsfrage: Räumt er (anonym befragt) ein, sich gelegentlich falsch verhalten zu haben oder Kollegen dabei beobachtet zu haben, weiß er ja, dass er damit zugleich seine Institution an den Pranger stellt. Um zu erforschen, ob z.B. Rassismus in einer Institution verbreitet ist, können Kriminologen deshalb nur indirekt vorgehen, z.B. mit Fragestellungen, auf die die Befragten spontan reagieren sollen. Ein solches indirektes Vorgehen funktioniert aber nur sehr eingeschränkt, wenn über die Forschungsziele, die Methoden und möglicherweise sogar einzelne Fragen in Medien und auf politischer Ebene vorab diskutiert wird. Jedes Ergebnis wird von dieser Debatte in der einen oder anderen Weise beeinflusst sein.
Nun scheint man sich politisch darauf geeinigt zu haben (Zeit-Online), eine Untersuchung durchzuführen, aber ist sich offenbar noch nicht einig über den Gegenstand der Einigung. Die einen jubeln schon, der Bundesinnenminister habe seinen Widerstand gegen die Rassismus-Studie aufgegeben, während dieser noch sagt, er befürworte nur eine (erneute) Studie zur Gewalt im Polizeialltag – also eigentlich eher mit der umgekehrten Zielstellung. Irgendwie wird dann wohl der politischen Kompromiss formuliert, worüber nun tatsächlich geforscht werden soll. Forschung, deren Ergebnis (widersprüchlichen) politischen Zwecken dienen soll, das ist für eine wissenschaftliche Studie ein denkbar schlechter Ausgangspunkt. Die Tagesschau berichtet:
„Die Gewerkschaft begrüßte nun Seehofers Ankündigung. Mit einer allgemeinen Rassismusstudie und einer Untersuchung über den polizeilichen Alltag bestehe die Möglichkeit, den polizeilichen Alltag vor dem Hintergrund der aufgedeckten Fälle zu analysieren, sagte der stellvertretende Vorsitzende Jörg Radek. So könne geklärt werden, welche Ursachen es für extremistisches Handeln und Denken gebe. Laut Seehofer soll Radek nun einem Beirat angehören, der die Untersuchung begleitet.“
Man strebt offenkundig eine mit dem Gütesiegel „unabhängige sozialwissenschaftliche Studie“ versehene Arbeit an, deren Ergebnisse man aber vorab politisch (mit-)bestimmen will und die einem politischen Kompromiss unter Einbeziehung der Betroffenenvertreter entsprechen. Es wird ein Beirat gebildet, der eine Untersuchung zum „polizeilichen Alltag“ begleiten soll, und in diesem Beirat sitzt ein Polizeigewerkschaftsführer. Soll nun etwa bestätigt werden, dass (Einzel-)Fälle, die so aussehen, als habe die Polizei ein Problem mit Rassismus, eher mit den aufsässigen bzw. gewalttätigen Migranten zu tun haben, mit denen die Polizeibeamten in ihrem Alltag immer häufiger umgehen müsse? Nun gut, einer Untersuchung, die herausfindet, dass selbst in der Rassismus-Frage die Polizeibeamten die eigentlichen Opfer sind, können natürlich auch Polizeigewerkschaftsfunktionäre zustimmen.
Unter Bedingungen, in denen nicht nur das Forschungsziel, sondern auch die Methoden, ja sogar einzelne Fragen vorgeschrieben werden, ist unabhängige Forschung aber kaum möglich.