GRUNDGESETZ!
Gespeichert von Carsten Krumm am
Zucken Sie auch seit einigen Monaten zusammen, wenn sie dieses Wort hören? Vielleicht auch das Wort "Freiheit!". Klar. Ich auch! In unserem schönen Lande sind ja nun einmal viele Leute unterwegs, die diese Worte ge- oder besser gesagt missbrauchen. All das haben wir C. zu verdanken.
Die Politik hatte bekanntermaßen kurz nach Jahresbeginn angesichts C. die Zügel in die Hand genommen und per Verordnungen erhebliche Beschränkungen vorgenommen und zwar in recht kurzen Abständen immer wieder neu. Allerorts wird hierüber diskutiert und das m.E. viel zu häufig sehr verkrampft. Abgesehen von C.-Leugnern, über die ich hier nicht reden will, geht es meist um tatsächliche oder vermeintliche Ungereimtheiten, manchmal auch um die Frage der Unverhältnismäßigkeit gewisser Regelungen.
Erst spät haben sich die (Verwaltungs-)Gerichte mit der Thematik sachgerecht befasst. Pünktlich zum erneuten Lockdown nun stellt der BayVGH fest, was bereits vielen Juristinnen und Juristen klar war: Das Notverordnungsregime aller Bundesländer ist allenfalls eine vorübergehende Krücke. Es müssen echte Gesetze her. Und zwar schnell. Lediglich die tatsächliche Pandemie-Situation und der absehbare Gang des Hauptsacheverfahrens führen nach dem BayVGH dazu, die wohl verfassungswidrige Verordnungssituation noch etwas am Leben zu halten und hinzunehmen. Bitter dabei, dass gerade der Lockdown in allen Bundesländern bei Übertragung dieser Sicht natürlich in Gänze ebenfalls nicht verfassungskonform ist.
Den Link zu der Entscheidung des BayVGH (Beschl. v. 29.10.2020, 20 NE 20.2360) finden Sie hier. Kernaussage:
Nach Auffassung des Senats bestehen erhebliche Zweifel, ob die mit dem vorliegenden Eilantrag angegriffenen Maßnahmen noch mit den Anforderungen des
Parlamentsvorbehalts bzw. des Bestimmtheitsgebots aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2
GG vereinbar sind. Mittlerweile erfolgen – jedenfalls im antragsgegenständlichen Bereich der Gastronomie – erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum
allein durch die Exekutive, wobei mit der Dauer der Maßnahmen und der Intensität der
mit ihnen verbundenen Grundrechtseingriffe die Frage an Gewicht gewinnt, ob die Verordnungsermächtigung zugunsten der Ländern in den §§ 28, 32 IfSG noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG genügt
Als Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtler frage ich mich nun: Was bedeutet das für Straf- und OWi-Verfahren in der Zukunft? Kann man guten Gewissens Verurteilungen darauf stützen, dass gegen verfassungswidrige Verbote, die aber vielleicht noch vorübergehend "aus Zweckmäßigkeitsgründen" akzeptiert werden, verstoßen wurde? Und wenn man die BayVGH-Entscheidung auf andere Länder überträgt: Ab welchem Zeitpunkt wären die Verordnungen in die Verfassungswidrigkeit "gekippt"? Erst jetzt nach vielen Monaten oder ggf. schon bei Erlass der jeweils zweiten VO der Bundesländer?