Immaterieller Schadensersatz nach DSGVO oder das "Fremdeln" deutscher Gerichte mit Art. 82 I DSGVO
Gespeichert von Prof. Dr. Katrin Blasek, LL.M. am
Eines der spannendsten Fragen des Datenschutzrechts betrifft die Auslegung von Art. 82 I DSGVO bzgl. des immateriellen Schadensersatzanspruches bei Verstoß gegen die DSGVO.
Zwar verweisen Gerichte in diesem Zusammenhang immer wieder auf den weit angelegten Schadensersatzbegriff der DSGVO (effet utile, EWG 146 S. 3) und die Rspr. des EuGH (C-407/14 = EuZW 2016, 183, 184f.), dass der geschuldete Schadensersatz eine „wirklich abschreckende Wirkung“ aufweisen muss. Gleichzeitig sind Gerichte zurückhaltend und wollen einen Schadensersatzanspruch nur bei schweren Schäden annehmen. Eine Verletzungshandlung müsse in jedem Fall auch zu einer konkreten, nicht nur unbedeutenden oder empfundenen Verletzung von Persönlichkeitsrechten der betroffenen Person geführt haben. Bagatellverletzungen seien nicht geeignet Schadensersatzansprüche zu begründen.
(Vgl. dazu meinen früheren Beitrag: https://community.beck.de/2020/12/04/materieller-und-immaterieller-schadensersatz-von-wohnungseigentuemern-bei-datenschutzverstoessen)
Dabei soll dieser weit angelegte Schadensersatzanspruch ja auch die gewünschte Abschreckungswirkung (wie Schadensersatzansprüche generell) bringen und so auch von Rechtsverletzungen abhalten bzw. die potentiellen „Opfer“ schützen.
Nun ist es wieder passiert: (AG Goslar - 27. September 2019 - 28 C 7/19)
Ein Rechtsanwalt ging gegen eine Werbe-Email vor, die ohne seine Einwilligung an ihn versendet wurde und wollte u.a. 500 Euro Schmerzensgeld.
Das lehnte das AG Goslar unter Hinweis auf eine fehlende Erheblichkeit des Rechtsverstoßes (lediglich eine einzige Werbe-Email, die nicht zur Unzeit versandt worden sei, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes deutlich gezeigt habe, dass es sich um Werbung handele, und die ein längeres Befassen mit ihr nicht notwendig gemacht habe) und somit kein Schaden beim Kläger ersichtlich sei. Eine Vorlage an den EuGH erwog das AG Goßlar bzgl. der durchaus noch offenen Auslegung von Art. 82 I DSGVO nicht.
Und weil des AG Goßlar letztinstanzlich tätig war, zog der Kläger unter Berufung auf Art. 101 I 2 GG (Verstoß gegen Grundsatz des gesetzlichen Richters) dagegen vor und bekam vom BVerfG Recht:
„Die angegriffene Entscheidung zeigt, dass das Amtsgericht die Problematik der Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO durchaus gesehen hat. Es hat sodann aber verfassungsrechtlich relevant fehlerhaft eine eigene Auslegung des Unionsrechts vorgenommen, indem es sich für die Ablehnung des Anspruchs auf ein Merkmal fehlender Erheblichkeit gestützt hat, das so weder unmittelbar in der DSGVO angelegt ist, noch von der Literatur befürwortet oder vom Gerichtshof der Europäischen Union verwendet wird.“ (Beschluss vom 14. Januar 2021 - 1 BvR 2853/19)
https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rk20210114_1bvr285319.html
Demnächst Vorlage an den EuGH?
Das Urteil des AG Goslar ist aufgehoben, die Sache zurückverwiesen und jetzt schaun mer mal, ob es demnächst eine Vorlage an den EuGH gibt.