Nichtigkeit des "Mietendeckels" - und jetzt drohen Kündigungen und Räumungen
Gespeichert von Dr. Michael Selk am
Für viele Beobachter wenig überraschend hat das Bundesverfassungsgericht den Berliner "Mietendeckel" mit Beschluss vom 25.3.2021, veröffentlicht am 15.4.2021 (1 BvL 1/20 ua) für nichtig erklärt. Die Entscheidung ist mit 7:1 Stimmen hinsichtlich der Begründung und im Ergebnis einstimmig, also deutlich ausgefallen - der Senat stützt seine Meinung auf die fehlende Kompetenz des Berliner Senats (Art. 74 I Nr.1 , Art. 72 I GG) und verweist auf die Bundeskompetenz des Gesetzgebers.
Glaubt man den Quellen, sind ca. 40.000 Berliner Mieterinnen und Mieter nun zur Nachzahlung der zu Unrecht gekürzten Mieten verpflichtet. Diesen droht im schlimmsten Falle die Obdachlosigkeit, sofern sie nicht sofort die offenen Mieten nachzahlen.
Die Mieten sind gem. § 286 II Nr. 1, § 556b I BGB spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats (vollständig) zu zahlen. Der Umstand, dass aufgrund eines zwischenzeitlich zunächst in Kraft getretenen Gesetzes die Pflicht zur vollständigen Zahlung aufgehoben war, ändert am eingetretenen Verzug nichts, der durch die Erklärung des Gesetzes für nichtig spätestens mit der Bekanntmachung des Beschlusses des BVerfG wieder auflebt. Insbesondere bedarf es keiner Mahnung des offenen Betrags mehr, da Verzug laut §§ 286 II Nr. 1 BGB eben ohne Mahnung eintritt.
Die Nichtigkeitserklärung durch das BVerfG wirkt ex tunc, also rückwirkend auf den Moment des Rechtsverstoßes an (ganz h.M., vgl. nur BeckOK BVerfGG/Karpenstein, § 78 Rn 7 mwN). Gesetze sind also unwirksam mit dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an - damit haben die Normanwender so zu tun, als hätte es nie das "Mietendeckelgesetz" in Berlin gegeben.
Sind also jedenfalls ab dem 15.4.2021 ca. 40.000 Mieterinnen und Mieter in Berlin im Verzug und übersteigt der Mietrückstand mehr als eine (§ 573 I BGB) bzw. zwei (§§ 543, 569 BGB) Monatsmieten, so drohen ihnen ab sofort wirksam fristgemäße bzw. fristlose Kündigungen wegen Zahlungsverzugs. Auf den BGH können sie sich nicht verlassen - das Erfordernis des "Verschuldens" i.S.d. Verzugs gem. § 286 BGB wird vom VIII. Zivilsenat dort sehr streng gesehen. Anwaltliches Beratungsverschulden müssen sich Mieterinnen und Mieter zudem gem. § 278 BGB zurechnen lassen (vgl. nur BGH NZM 2012, 637). Und in sehr ähnlichen Fällen (Wegfall des Zurückbehaltungsrechts des Mieters nach erfolgter Mängelbeseitigung durch den Vermieter und Aufleben der Zahlungspflicht) hat der VIII. Zivilsenat eine Pflicht zur unverzüglichen Zahlung des Rückstands gesehen (BGH BeckRS 2014, 18459).
Die Presseerklärung des Berliner Senats zu dem Beschluss des BVerfG lässt indes besorgen, dass man dort den Ernst der Lage nicht ganz verstanden haben dürfte. Dort heißt es: "Im Senat werden wir am Dienstag über die Konsequenzen aus dem Urteil beraten. Dabei sieht sich der Senat auch in der Verpflichtung, sozial verträgliche Lösungen für Mieterinnen und Mieter zu entwickeln."
Es scheint, als wäre dem Senat die oben geschilderte existentielle Problematik auch in zeitlicher Hinsicht unbekannt. Sofern hier suggeriert wird, man wolle den Mieterinnen und Mietern in den kommenden Wochen helfen, aus der vom Senat verursachten Bredoullie herauszukommen, dürfte es für viele bereits zu spät sein. Denn bekanntlich gilt die Heilungsvorschrift der Nachzahlung offener Mieten binnen zwei Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage in § 569 III Nr. 2 BGB nicht für fristgemäße Kündigungen. Und zudem warten viele Vermieterinnen und Vermieter nicht einfach zu, bis das Geld eingegangen ist, sondern kündigen - und mit dem Zugang der Kündigung beginnt dann das kaum abwendbare Unheil. In den FAQ der Seite des Senats ist dann immerhin davon die Rede, "im Zweifel" solle man unverzüglich die offenen Mieten anweisen, man könne aber auch ein Gespräch mit dem Vermieter suchen. Dieses zu suchende Gespräch allerdings könnte für viele die Obdachlosigkeit bedeuten, wenn hier wichtige Zeit verloren geht - es kann sich um Stunden, gar Minuten handeln.