„Der zerbrochne Krug“ oder: Die Öffentlichkeitsarbeit der Bremer Staatsanwaltschaft im Fall „BAMF“
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft - wie soll und darf das gehen?
Schon in der Vergangenheit gerieten Staatsanwälte in die Kritik, weil sie während laufender Ermittlungsverfahren statt sich an ihren primären gesetzlichen Auftrag strafrechtlicher Ermittlungen und Anklagen zu halten, den Weg über die Presse suchten, um ihre Sicht der Dinge noch vor einer Anklageerhebung öffentlich zu präsentieren (Stichworte: Kachelmann-Fall, No Angels-Fall).
Hier finden Sie Links zu von mir in der Vergangenheit im Beck-Blog besprochenen derartigen Fällen und auch hier
Im Nachspiel dieser und ähnlicher spektakulärer Fälle wurden solche Vorgehensweisen kritisch untersucht und auch intensiv diskutiert, sowohl justizintern als auch extern. Der Gesetzgeber hat allerdings bislang keinen Anlass gesehen, die Frage, ob und welche Informationspolitik während laufender Ermittlungsverfahren zulässig ist, klar zu regeln. Verwiesen wird meist auf die Pressegesetze der Länder, die der Presse einen allg. Auskunftsanspruch gegen Behörden gewähren. Dabei finden jedoch die speziellen Umstände staatsanwaltlicher Ermittlungen weniger Berücksichtigung. Zudem wird auf (untergesetzliche) Regelungen der Richtlinien zum Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) verwiesen.
Bislang steht es den Staatsanwaltschaften daher formal weitgehend frei, auf Presseanfragen abweisend zu reagieren oder unterschiedlich tiefe Einblicke in die Ermittlungsarbeit und deren vorläufige Ergebnisse zu gewähren. Ob und welche Informationen oder Einschätzungen zu welchem Zeitpunkt eines Ermittlungsverfahrens der Öffentlichkeit in Pressekonferenzen oder „Hintergrundgesprächen“ präsentiert werden dürfen, ist nirgends gesetzlich geregelt.
Praktisch wird heute dem Phänomen plaudernder Staatsanwälte in den Staatsanwaltschaften dadurch begegnet, dass ein Pressesprecher ernannt wird, an den grundsätzlich alle Presseanfragen zu richten sind und über den auch die Antworten laufen (sollen). Dieser Pressesprecher sorgt dann z.B. dafür, dass Anfragen verschiedener Journalisten in gleicher Weise beantwortet werden und dass dabei die Anforderungen der Unschuldsvermutung, der §§ 201, 203 und 353b StGB, des Datenschutzes sowie die der Nrn. 4, 4a und 23 RiStBV eingehalten werden. Besonders ist darauf zu achten, dass nicht personenbezogene Daten aus den Ermittlungsakten, insbesondere solche, die die Intimsphäre der Beschuldigten oder anderer Beteiligter betreffen, an die Öffentlichkeit gelangen. Dadurch, dass der Pressesprecher ein nicht unmittelbar mit den Ermittlungen betrauter Staatsanwalt ist, soll wohl auch der Selbstbefangenheit der Ermittler entgegengewirkt werden: Hat man sich – so meine Einschätzung – erst einmal in der Öffentlichkeit festgelegt, bleibt von der Objektivität bei den weiteren Ermittlungen meist nicht mehr viel übrig.
Auch ohne gesetzliche Regelung scheint diese grundsätzliche Verfahrensweise in den meisten Fällen zu funktionieren. Staatsanwälte sollten als Volljuristen ja auch grundsätzlich selbst zumindest die rechtlichen Grenzen ihrer eigenen Verhaltensweisen gut einschätzen können.
Der Extremfall Bremen
Wie man nun aus Bremen erfährt, wurden dort aber offenbar im Zuge der BAMF-Ermittlungen vernünftige und rechtskonforme Selbstbeschränkungen bei der Öffentlichkeitsarbeit krass unterlaufen: Im März 2019 sollen an einem „Hintergrundgespräch“ mit einem Journalisten der „Zeit“ vier Staatsanwälte mitgewirkt haben, darunter der Pressesprecher und sogar der leitende OStA. Dabei sollen auch - als angeblicher Teil der bisherigen Ermittlungsergebnisse – ehrenrührige bzw. persönlichkeitsverletzende Thesen zur (angeblichen) Tatmotivation der Hauptbeschuldigten verbreitet worden sein. Aus heutiger Sicht könnte die Motivation zu einem solchen Hintergrundgespräch gewesen sein, dass man im bislang größten Bremer Ermittlungsverfahren bis dahin nicht viel von den im Frühjahr 2018 von Politik und Medien hinausposaunten „hochkriminellen korrupten Strukturen“ im Bremer BAMF gefunden hatte.
Das Ergebnis war dann in einem Artikel auf ZEIT-Online nachzulesen. Nachdem der Artikel im März 2019 erschien, ist die von der Veröffentlichung betroffene Beschuldigte (erfolgreich!) beim VG gegen die Staatsanwaltschaft vorgegangen und hat Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Diese Strafanzeige wurde zunächst nicht weiterverfolgt. Kein Wunder, hätten doch Staatsanwälte ggf. gegen ihren Chef oder, dem Dorfrichter Adam sei hiermit Respekt gezollt, gegen sich selbst ermitteln müssen.
Ob die beteiligten Staatsanwälte sich strafbar gemacht haben, ist deshalb nun Gegenstand der Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Bremen, die nach Beendigung des Verfahrens im BAMF-Fall, also zwei Jahre später, die Ermittlungen aufgegriffen hat.
Es war übrigens nicht der einzige derartige „Vorfall“. Schon im Juli 2018 hatte der Spiegel aus den Ermittlungsakten und der Personalakte der Beschuldigten zitiert, noch bevor die Verteidigung Akteneinsicht hatte. Auch hierzu erging eine Strafanzeige gegen – bis heute – unbekannte Person(en) aus Ermittlerkreisen. Wer genau damals schon rechtswidrig agierte, ließ sich nicht feststellen, weil der Ermittlungsgruppe ca. 50 Personen angehörten. Aber das Motiv scheint offenkundig: Im Juni 2018 waren erste Zweifel an der Stichhaltigkeit der strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Hauptbeschuldigte aufgekommen, und durch das gezielte Leak an den Spiegel konnte man gegensteuern und die öffentliche Skandalisierung (vorerst) aufrechterhalten.
Aber selbst wenn am Ende den Staatsanwälten keine strafrechtlichen Folgen drohen sollten – ein grober Verstoß gegen Berufsethos, Vernunft und Anstand wäre diese Art der Öffentlichkeitsarbeit allemal. Fast schon humorvoll: Die StA klagte die Beschuldigte ausgerechnet auch wegen „Verletzung des Dienstgeheimnisses“ nach § 353b StGB an.
Die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft in Bremen ist auch unabhängig von der Strafbarkeit eine Angelegenheit der dortigen Justizsenatorin Schilling (SPD), die die politische Verantwortung trägt und weisungsbefugt ist.
Und was sagen die Medien jetzt?
Anders als die BAMF-Ermittlungen selbst, die ein für die Staatsanwaltschaft eher unrühmliches Ende fanden, sind die Vorgänge in der Bremer Staatsanwaltschaft nicht Gegenstand größerer medialer Empörung. Besonders die Taz und ein bisschen auch die Frankfurter Rundschau berichten detaillierter, Spiegel und „Buten und Binnen“ (RB) berichten sachlich knapp, wie man es sich 2018 zur BAMF-Affäre gewünscht hätte.
Aber wenn gerade hier mangels öffentlichen Drucks keine transparente Aufklärung erfolgt, könnte dies das Vertrauen in die Objektivität der Staatsanwaltschaften weit über Bremen hinaus empfindlich stören. Der Nimbus der „objektiven Ermittler“, auf deren Informationen sich die Presse unproblematisch verlassen dürfte, ist ohnehin angekratzt.
Update 8.5.2021
Ich muss etwas nachtragen. Wie mir mitgeteilt wurde, hat auch der "Weser-Kurier" (Bremer Regionalzeitung), detailliert über den Fall berichtet. Hier ein Auszug:
Wie und ob überhaupt der Vorgang von strafrechtlicher Relevanz ist, überprüft seit zwei Wochen nicht mehr die Staatsanwaltschaft, sondern ihre vorgesetzte Behörde. „Wir haben entschieden, das Ermittlungsverfahren an uns zu ziehen“, erklärte am Montag Generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer.
Vorangegangen waren eigene Recherchen der nachgeordneten Behörde, die mal eingestellt, mal wieder aufgenommen wurden. Es gab zwei Jahre lang ein regelrechtes Pingpong zwischen Staatsanwaltschaft und Innerer Revision. Dass Graalmann-Scheerer nun zuständig ist, hat nach ihrer Darstellung nichts mit der bisherigen Ermittlungsarbeit in dem Fall zu tun. „Maßgeblich ist der Kreis der Beschuldigten“, so die Generalstaatsanwältin. Neben dem Behördenleiter Kuhn sind das zwei Oberstaatsanwälte, darunter der Pressesprecher der Behörde, und ein Staatsanwalt, der damals als Dezernent für das Bamf-Verfahren zuständig war und Bremen mittlerweile wegen einer anderen Verwendung verlassen hat.(...)Dass die Generalstaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren an sich ziehe, komme extrem selten vor, sagte Graalmann-Scheerer. Ihre Behörde werde versuchen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, und zwar in allen Richtungen. Auf viel Kooperation darf sie dabei offenbar nicht hoffen: Zwei der vier Beschuldigten haben bereits von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die Aussage zu verweigern. Bei den anderen beiden sei das noch offen, erklärte die Generalstaatsanwältin. Der Journalist habe sich entschieden, ebenfalls nichts von dem Hintergrundgespräch im März 2019 preiszugeben. Vor ein paar Tagen seien aber zwei weitere Zeugen aufgetaucht, „da bin ich zuversichtlich, dass sie zur Aussage bereit sind“.
Update 14.06.2021
Die Taz von heute (Benno Schirrmeister) nimmt sich des Themas noch einmal an, nachdem es in den letzten Wochen still geworden ist um den Bremer Staatsanwaltschaftsskandal, und es werden noch einmal einige erstaunliche Details mitgeteilt (Auszüge)
Aufs Ausländerrecht bezogen waren es im Prozess gegen Irfan Ç. nur noch sieben Anklagepunkte gewesen, die sich als nichtig erwiesen. Er hätte Mandant*innen angestiftet, sich als Iraker auszugeben, lautete ein Vorwurf. Zwar halten die sich selbst für Iraker und laut Pass sind sie es auch. Für die 48-köpfige „Ermittlungsgruppe Antrag“, der größten in der Geschichte des Bundeslandes Bremen, war hingegen ein soziolinguistisches Schnellgutachten des Bamf der schlagende Beweis dafür, dass sie aus der postsowjetischen Staatengemeinschaft stammen müssten.
Während die Ermittlungsgruppe es also sprachwissenschaftlich krachen ließ, waren ihr andere linguistische Differenzen mumpe: So wurden nur Arabisch-Dolmetscher*innen beschäftigt, als in Hildesheim Irfan Ç.s Mandant*innen auf die Wache zitiert wurden, um gegen ihren Anwalt auszusagen. Allerdings: Irfan Ç. ist jesidischer Kurde. Die meisten seiner damaligen Klient*innen sind es auch. Kurdisch ist ihre Muttersprache – und sie ist mit dem Arabischen nicht verwandt und nicht verschwägert. Die Polizei hätte also ebenso gut Estnisch-Übersetzer*innen die Protokolle anfertigen lassen können.
(...)
Leid tun müssen einem dagegen Spiegel-Abonent*innen. Denn eine Zeit lang hatten in dem Blatt fast montäglich Horrorstorys über dieses linksgrün-versiffte Bremer Schlupfloch gestanden. „Wir haben unsere Leserinnen und Leser über die Einstellung des Verfahrens informiert“, behauptet zwar Spiegel-Sprecher Michael Grabowski, aber die Aussage hat die Struktur einer jesuitischen Lüge: Sie gilt nur fürs Online-Publikum. Das Papier hingegen ist dem Verlag zu schade, um zu verbreiten, dass sich all diese Behauptungen vor Gericht als so belastbar erwiesen haben, wie ein Soufflé, bei dem vorzeitig die Ofentür geöffnet wurde. Im Magazin kommt die Affäre nicht mehr vor seit November 2018.