Millionenschwere Maskendeals der Abgeordneten sind straflos (OLG München 8 St 3/21)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Vor einigen Monaten erschütterte die „Maskenaffäre“ die CSU. Zwei CSU-Abgeordnete, einer des Bayerischen Landtags, einer des Bundestags, hatten im März 2020 Importeuren von Schutzmasken einen Deal mit den Zentraleinkäufern von Bundesbehörde (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) – und Landesbehörde (Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege) verschafft. Stückpreis für eine (!) FFP2 Maske war 3,60 Euro und insgesamt ging es um mehrere Millionen solcher Masken. Dass sie selbst dabei ordentlich Kasse machten, haben die Abgeordneten natürlich nicht besonders erwähnt.
Dass sie für diese Vermittlungstätigkeit ihren Vertrauensvorschuss bzw. ihre guten Verbindungen als Abgeordnete des bayerischen Landtages bzw. des Bundestages zu nutzen wussten, ist zu Recht als politischer Skandal aufgefasst worden: Vom Volk gewählte Parlamentarier einer Regierungspartei haben sich persönlich an der Coronakrise bereichert. Moralisch ist das ein auf tiefster Stufe stehendes Verhalten.
Ob dieses Verhalten allerdings auch strafrechtlich bedeutsam ist, war von Anfang an sehr fraglich. Die Staatsanwaltschaft hat dies zunächst bejaht, und zwar im Einklang mit dem verbreitetsten Kommentar zum StGB. Thomas Fischer vertritt hier eine strenge Rechtsauffassung, die die Abgeordneten strafrechtlich ähnlich wie Amtsträger in Haftung nimmt. Das mag wünschenswert sein, lässt sich aber kaum mit der Auffassung des Gesetzes in Einklang bringen, das eben in § 108e StGB für die Strafbarkeit von Mandatsträgern eben andere, deutlich gegenüber den §§ 331 ff. StGB limitierte Maßstäbe setzt und den Zusammenhang mit der parlamentarischen Funktion verlangt (Wortlaut: „bei der Wahrnehmung seines Mandats“) .
Ich habe zu diesem Merkmal im Münchener Kommentar StGB wie folgt argumentiert (Auszüge aus § 108e Rn 32 ff., um die Fußnoten gekürzt und entscheidende Passagen hervorgehoben):
Die als Gegenleistung vom Mandatsträger angebotene bzw. geforderte Tätigkeit muss eine Handlung bei der Wahrnehmung des Mandats sein. Einbezogen ist die gesamte Mandatstätigkeit, neben Abstimmungen oder Wahlen im Plenum auch die Mitwirkung bei Verhandlungen und Abstimmungen in Parlaments- und Fraktionsgremien sowie bei der Beratung und Vorbereitung der Beschlussfassung, insbesondere in Parlamentsausschüssen sowie Arbeitskreisen und -gruppen der Fraktionen. (...) Auch wenn außerhalb von Gremiensitzungen auf parlamentarische Vorgänge Einfluss genommen werden soll, ist dies vom Tatbestand erfasst, einschließlich der Tätigkeit in Parteigremien oder Parteizirkeln, sofern dabei auf andere Angehörige der Volksvertretung eingewirkt wird bzw. werden soll. Im Einzelnen kommen in Betracht zB das Diskussions- und Abstimmungsverhalten in Sitzungen, Aktivitäten bei Vorbereitung von Papieren und Entwürfen, der Einsatz für oder gegen bestimmte Gesetzesvorhaben oder Ansichten. Es kann sich auch um das Unterlassen eines Widerspruchs in Beratungen oder eine Enthaltung bei Abstimmungen handeln. Unbeachtlich ist, ob es sich dabei um eine einzelne Aktivität bzw. ein einzelnes Unterlassen handelt oder um die Förderung eines bestimmten Projekts durch eine Reihe von Maßnahmen.
Eine bloße Tätigkeit „im Zusammenhang mit dem Mandat“ soll hingegen nicht ausreichen.
Keine Wahrnehmung des Mandats liegt vor etwa bei Wahlkampfaktivitäten zur erstmaligen Erlangung eines Mandats oder bei Verhaltensweisen im Rahmen von Nebentätigkeiten des Mandatsträgers. Da auch bei außerparlamentarischen Tätigkeiten die Mandatsträgerschaft in der öffentlichen Wahrnehmung im Vordergrund steht, können sich dadurch zwar va in „Graubereichen, wie etwa Sponsoring, Drittmitteleinwerbung etc.“ Lücken und Umgehungsmöglichkeiten ergeben. Diese sind jedoch wohl zugunsten einer klareren Grenzziehung hinzunehmen.
Das OLG München hat gestern auf Beschwerde der beiden Beschuldigten die Strafverfolgungsmaßnahmen, darunter den Arrest von mehr als 1 Million Euro, die ihnen als ihr „Anteil“ aus dem Gewinn des Geschäfts zuflossen, mangels Tatverdachts aufgehoben.
Der Beschluss ist zwar noch nicht rechtskräftig und die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde angekündigt, aber es bestehen große Zweifel, ob diese erfolgreich sein wird.
Ein kleiner Rückblick: Nachdem jahrzehntelang (von 1954 bis 1994) die Bestechung/Bestechlichkeit von Abgeordneten überhaupt nicht strafbar war, wurde dann 1994 mit § 108e StGB eine – eher symbolische – Norm geschaffen, mit der zunächst nur der Kauf/Verkauf von konkreten Stimmen bei Abstimmungen im Parlament erfasst war. Erst weitere 20 Jahre später hat man, unter internationalem Druck durch die UN Convention against Corruption, § 108e StGB so umformuliert, dass auch andere parlamentarische Aktivitäten der Abgeordneten erfasst werden können.
Dem Gesetzgeber (also den betroffenen Parlamentariern selbst) war allerdings sehr daran gelegen, dass sie nicht wie Amtsträger ganz von den angenehmen Vorteilen des Lobbyismus ausgeschlossen werden. Die Quelle, von der man gerne trinkt, will man ja nicht austrocknen. Insofern blieb die Strafbarkeit beschränkt auf solche durch Vorteile geförderte Aktivitäten, die gerade die parlamentarische Tätigkeit betreffen. Einer der schärfsten Kritiker der Abgeordnetenkorruption ist Thomas Fischer, ehem. Vors. Richter am BGH. Kurioserweise ist er nun ausgerechnet in der Kanzlei von Gauweiler/Sauter tätig.
Die immer noch geltenden Einschränkungen haben dazu geführt, dass § 108e auch in der neuen Form ein recht zahnloser Tiger ist. Wenn Abgeordnete ihren Status als Abgeordnete lediglich dazu benutzen, sich Zugang zur Exekutive zu verschaffen und dadurch Gewinne erzielen, ist kein parlamentarischer Akt involviert. Denn nicht das Parlament kauft Masken und das Parlament ist auch nicht an der Auswahl der Vertragspartner beteiligt. Diese, sich aus dem Wortlaut und dem (damaligen) Willen des Gesetzgebers nahezu zwingend ergebende Folgerung hat dazu geführt, dass solche „Nebentätigkeiten“ wie die nicht kostenfreie „Vermittlung“ von Großaufträgen an die Bundes- bzw. Landesbehörden, straflos sind.
In der allgemeinen Wahrnehmung ist der Gedanke verbreitet, alles Unmoralische müsse auch strafrechtlich verboten werden. Das ist – im Hinblick auf eine drohende Überkriminalisierung - nicht unproblematisch. Aber aus meiner Sicht problematischer ist die Umkehrung dieses Gedankens. Die Öffentlichkeit kommt leicht zu der fehlerhaften Annahme, was nicht strafrechtlich verboten sei, sei auch politisch/moralisch in Ordnung. Das ist aber nicht der Fall. Es besteht alle Berechtigung dazu, Abgeordnete, die sich so verhalten, wie es hier geschehen ist, aus der Politik zu entfernen. Eine Partei oder Fraktion, die nicht sofort auf solches die Gemeinschaft schädigendes, egoistisches Verhalten reagiert, muss zu Recht um ihre Wählerstimmen fürchten.