BGH und der Baulärm - die dritte "Bolzplatzentscheidung" (Urt. v. 24.11.2021, VIII ZR 258/19)
Gespeichert von Dr. Michael Selk am
Der 8. Zivilsenat des BGH ist es offenkundig genervt. Es gibt immer noch Tatgerichte, die von seiner Linie (Baulärm durch benachbarte Baustelle ist nur ein Mangel der Mietsache, wenn der Vermieter selbst Abwehr- oder Entschädigungsansprüche gegen den Störer hätte) abzuweichen wagen. Dies tat schon im Jahre 2019 - die Revision ausdrücklich zulassend - die 64. Zivilkammer des Landgerichts Berlin (BeckRS 2019, 25774).
Der Senat hat die Entscheidung des Landgerichts (es bejahte einen Mangel der Mietsache durch Lärm der benachbarten Großbaustelle) aufgehoben und zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückverwiesen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Linie des Senats ist seit den beiden Vorgängerentscheidungen vom 29.4.2015 und 29.4.2020 (NJW 2015, 2177; NJW 2020, 2884) trotz massiver Angriffe von Rechtsprechung und Literatur klar.
Bemerkenswert an der Entscheidung ist zum einen, dass auch die Hilfserwägung des Landgerichts verworfen wird. Das Landgericht hatte die Ansicht vertreten, dass im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung ein Mangel dann anzunehmen sei, wenn der Vermieter die anstehenden baulichen Veränderungen auf dem Nachbargrundstück bei Abschluss des Mietvertrags kannte, aber dem Mieter verschwieg. Der BGH verwirft dies ebenfalls - die tatrichterlichen Feststellungen und der Zeitablauf (Mietvertrag 2011 - Baubeginn 2017) würden eine Arglist nicht hergeben. Nun: es gibt andere Entscheidungen des Senats, in denen er sich an diese Feststellungen deutlich gebundener fühlte und sie nicht in Frage stellte.
Bemerkenswert ist weiter, dass der Senat seinen Kritikern erneut Ohrfeigen verteilt. Die Rede ist von einem "grundlegenden Fehlverständnis", dem das Berufungsgericht hinsichtlich der Senatsrechtsprechung erlegen sei. Dinge würden "bereits im Ausgangspunkt" übersehen, es läge eine "Nichtbeachtung" der einschlägigen Senatsrechtsprechung vor usw. Insbesondere wirft der Senat dem Tatgericht wie auch schon in den beiden früheren "Bolzplatzentscheidungen" vor, man habe verkannt, dass es dem Senat nicht um eine entsprechende Anwendung des § 906 BGB gehe, sondern ja nur um die "Ausstrahlungswirkung" dieser Norm in das Mietrecht hinein. Indes: genau dieses dogmatisch erstaunliche Institut der "Ausstrahlungswirkung" wird von vielen gewichtigen Stimmen in Literatur und Rechtsprechung (s. etwa KG BeckRS 2020, 26421, den VIII. Zivilsenat massiv kritisierend) in Frage gestellt, zumal der Senat die "Wirkung" des § 906 BGB bei der Darlegungs- und Beweislast dann ausdrücklich selbst aufgegeben hat (BGH NJW 2020, 2884 Rn 92) und mithin durchaus inkonsequent agiert. Um also eine Lanze für die Tatgerichte zu brechen: vielleicht lag gar kein "grundlegendes Fehlverständnis" der Linie des Senats vor, sondern ein bewusstes Abweichen von einer nicht überzeugenden dogmatischen Karlsruher Konstruktion. Kritik muss man aber auch dort aushalten können.
Meyer-Abich hat in seinem schönen Aufsatz über Rechtsirrtümer im Mietrecht im ersten Heft der NJW des Jahres 2022 (S. 31ff) sehr treffend angemerkt : "Aber auch der BGH ist vor Rechtsirrtümern nicht unbedingt gefeit" (NJW 2022, 31 (33)).