EuGH-Vorlage zur Benachteiligung wegen des Alters
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Der Achte Senat des BAG hat den EuGH um Vorabentscheidung zu einer möglichen Rechtfertigung von Benachteiligungen wegen des Alters ersucht.
Die Klägerin beansprucht eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, weil sie sich wegen ihres Alters diskriminiert sieht. Die Beklagte betreibt einen Assistenzdienst. Sie bietet Menschen mit Behinderungen Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen in verschiedenen Bereichen des Lebens an, auf die diese nach § 78 SGB IX Anspruch haben. Nach Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift beinhaltet die persönliche Assistenz insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Die Leistungsberechtigten können die Assistenzpersonen entweder selbst einstellen (sog. Arbeitgebermodell) oder - wie im Streitfall - durch eine Assistenz- oder Pflegekasse stellen lassen; die Kosten trägt in jedem Falle der zuständige Sozialleistungsträger.
Im Auftrag einer 28 Jahre alten behinderten Studentin suchte die Beklagte in einer Stellenanzeige „weibliche Assistentinnen“ in allen Lebensbereichen des Alltags, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollten. Die 50-jährige Klägerin bewarb sich ohne Erfolg auf diese Stellenausschreibung.
Mit ihrer Klage verlangt sie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Die ausdrücklich an Assistentinnen im Alter „zwischen 18 und 30“ Jahren gerichtete Stellenausschreibung der Beklagten begründe die Vermutung, dass sie bei der Stellenbesetzung wegen ihres höheren Alters nicht berücksichtigt worden sei. Die Beklagte hält demgegenüber die Ungleichbehandlung für gerechtfertigt. Sie trage dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen (§ 8 Abs. 1 SGB IX) Rechnung, das sich völkerrechtlich auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zurückführen lasse.
Zur Überzeugung des BAG hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob die durch die Stellenausschreibung bewirkte unmittelbare Benachteiligung gerechtfertigt ist. Im Hinblick auf die Auslegung des AGG in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG stellen sich Fragen der Auslegung von Unionsrecht. Der Achte Senat hat den EuGH daher um Vorabentscheidung ersucht zu der Frage:
Können Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG – im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) sowie im Licht von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?
BAG, Beschl. vom 24.2.2022 - 8 AZR 208/21 (A), Pressemitteilung hier