BGH zur Strafbarkeit von AGG-Hoppern
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Nils Kratzer fühlte sich erstaunlich oft in seinem Leben als Diskriminierungsopfer und hat mit seinen Klagen manchen Arbeitgebern das Leben schwer gemacht (und zu zahlreichen Beiträgen hier im Beck-Blog Veranlassung gegeben). Auch ein EuGH-Urteil (28.7.2016 – C-423/15, NZA 2016, 1014 - Nils-Johannes Kratzer / R+V Allgemeine Versicherung AG) trägt seinen Namen. Zuletzt machte der Münchener Rechtsanwalt Schlagzeilen, als er eine Entschädigung forderte, weil er wegen seines Alters nicht zu einem Münchener Partyevent eingelassen wurde. Die Klage wies der BGH mit Urteil vom 5. Mai 2021 (VII ZR 78/20, NJW 2021, 2514) ab, weil ein Massengeschäft im Sinne des § 19 Abs. 1 AGG nicht vorliege. Weitaus gravierender für seinen weiteren Lebensweg dürfte indes ein Strafverfahren sein, dass die Münchener Justiz gegen ihn vor einigen Jahren einleitete. Der Vorwurf lautete, dass das von Kratzer betriebene AGG-Hopping, also sich zum Schein auf Stellenangebote zu bewerben, um in den Genuss einer Entschädigung nach dem AGG zu gelangen, strafbarer Betrug sei. Das LG München I hat den angeklagten Rechtsanwalt nach langer Verhandlung und umfangreicher Beweisaufnahme wegen Betruges in drei Fällen und wegen versuchten Betruges in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Der 1. Strafsenat des BGH (Urteil vom 4.5.2022 - 1 StR 138/21, BeckRS 2022, 22840) hat indes im Revisionsverfahren das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG München I zurückverwiesen. Der Schuldspruch wegen vollendeten Betruges könne keinen Bestand haben, weil eine Täuschung durch den Angeklagten nicht festgestellt sei. Weder die außergerichtlichen Aufforderungsschreiben noch das Führen der arbeitsgerichtlichen Verfahren belegten als solche eine relevante Täuschung. Auch ein entsprechender Irrtum auf Arbeitgeberseite sei vom LG nicht tragfähig belegt. Der BGH rügt weiter die fehlerhafte Abgrenzung zwischen der straflosen Vorbereitung einer Straftat und dem Versuch. Die vom LG getroffene Feststellung, der Angeklagte sei der Auffassung gewesen, mit der Übersendung der außergerichtlichen Aufforderungsschreiben bereits alles Erforderliche getan zu haben und habe damit unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt, sei beweiswürdigend nicht hinreichend begründet.
Damit findet das Verfahren eine Fortsetzung und könnte noch weitere Jahre andauern. Kratzer wies jedenfalls in einer Stellungnahme gegenüber LTO darauf hin, dass er außer derjenigen in München keine Staatsanwaltschaft kenne, die wegen des Vorwurfs des AGG-Hoppings ermittele oder Anklage erhoben hätte.