Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Der Gesetzgeber muss handeln
Gespeichert von Dr. Sylvia Kaufhold am
Obwohl sich die Pandemielage seit langem grundlegend verändert hat, hält der Gesetzgeber an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fest. Es drohen sogar Verschärfungen. Dabei ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich längst zur Nachbesserung verpflichtet. Aber auch Verwaltung und Gerichte sind in der Verantwortung.
In meinem aktuellen Beitrag im FAZ Einspruch vom 24.10.2022 befasse ich mich mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen Covid 19 nach §20a IfSG, die das BVerfG in seinem Beschluss vom 27. April 2022 für verfassungskonform erklärt hatte. Unter kritischer Würdigung der Pandemie-Rechtsprechung des höchsten Gerichts lege ich dar, warum es ein Fehler war, die „Pflegeimpfpflicht“ und mit ihr schwerste Grundrechtseingriffe der Betroffenen nicht bereits im Zuge der Änderungen des Infektionsschutzgesetzes zum 1.10.2022 aufzuheben. Gerade im Zusammenspiel mit der verfassungsrechtlich ihrerseits fragwürdigen Absonderung von Infizierten und Kontaktpersonen (vgl. Evaluationsbericht S. 114) dürfte eine weitere Anwendung der Impfpflicht, die jetzt den Nachweis von mindestens drei Einzelimpfungen erfordert, nicht nur ihr eigentliches Ziel (Schutz Vulnerabler) offensichtlich verfehlen, sondern umgekehrt genau jene Personalknappheit in Kliniken verschärfen, die dann als „konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens“ (§ 28b Abs. 4 IfSG neu) Maßnahmen der Länder gegen die Allgemeinbevölkerung zu begründen geeignet ist.
Die Impfplicht ist insgesamt kontraproduktiv oder zur Erreichung ihres Ziels jedenfalls nicht hinreichend geeignet. Denn nicht erst die Sommerwelle hat deutlich gezeigt hat, dass die Covid 19-Impfung jedenfalls innerhalb kürzester Zeit (wenn überhaupt) keinerlei Fremd- und Verbreitungsschutz mehr bietet. Deshalb und weil es der Gesetzgeber versäumt hat, nach Erlass der Impfpflicht im Dezember 2021 für eine hinreichend gesicherte Erkenntnisgrundlage zu sorgen, hat sich seine ursprüngliche Einschätzungsprärogative inzwischen so verengt, dass er zur Aufhebung von § 20a IfSG verpflichtet ist. Die Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht als Kehrseite der Einschätzungsprärogative lässt das BVerfG im Impfbeschluss bezeichnenderweise unerwähnt, obwohl sie sehr klar insbesondere aus einer Entscheidung von 2016 folgt, die das Gericht in anderem Zusammenhang auch mehrfach zitiert.
Solange die Impfpflicht formal fortbesteht, dürfen und müssen m.E. die Gesundheitsämter im Rahmen ihrer Ermessensausübung – auch durch entsprechende Verwaltungsanweisungen − darauf verzichten, Beschäftigte zur Vorlage von Impfnachweisen aufzufordern und Betretungs- oder Tätigkeitsverbote auszusprechen. Warum dies nicht „flächendeckend“ zulässig sein sollte, wie teilweise vertreten wird, ist nicht nachvollziehbar, was ich am Ende des Beitrags genauer begründe.
Nachfolgend kopiere ich aus meinem Manuskript noch einige Passagen und Verweise ein, die von der FAZ-Redaktion, wahrscheinlich aus Platzgründen, teilweise (insoweit hier fett und kursiv gedruckt) gestrichen wurden:
„All das ist Grund genug, den Beschluss des BVerfG zur Pflegeimpflicht einschließlich seiner praktischen und politischen Konsequenzen nochmals genauer zu hinterfragen, zumal er abgesehen von einigen sehr kritischen Reaktionen unmittelbar nach seiner nach seiner Veröffentlichung am 19. Mai 2022 (s. etwa Stibi, Vosgerau, Hamed, Rixen, und Guericke) bislang kaum Widerhall in der juristischen Fachliteratur gefunden hat (vorsichtig kritisch Kießling, NJW 2022, 2798 Rn. 17). In der Rechtswissenschaft und generell unter Juristen scheint sich eine Art Ratlosigkeit, ja vielleicht sogar Resignation breit zu machen. Denn das BVerfG führt, wie auch schon in seinen Beschlüssen zur Bundesnotbremse vom 21. November 2021, nicht nur seine eigenen Grundsätze zur Verhältnismäßigkeitsprüfung von Grundrechtseingriffen letztlich ad absurdum, sondern setzt sich auch überhaupt nicht mit den zahlreichen Literaturmeinungen zur allgemeinen und einrichtungsbezogenen Impfpflicht auseinander, die im Vorfeld der Entscheidung veröffentlicht waren (z.B. Gierhake, ZRP 2021, 115; Hofmann/Neuhöfer, NVwZ 2022, 19; Kingreen; Rostalski; Möller). Der Beschluss krankt daher schon aus diesem Grund an einer gewissen Unwissenschaftlichkeit nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht.“ …
„Dass aber das BVerfG schwerste Grundrechtseingriffe letztlich ausschließlich auf die Annahme eines Fremd- und Verbreitungsschutzes stützte, die vielleicht noch bei Verabschiedung des Gesetzes im Dezember 2021 (zweifelnd bereits damals Drosten), aber sicher nicht mehr zum Zeitpunkt der Entscheidung Ende April 2022 (und erst recht nicht darüber hinaus) vertretbar war, ist extrem irritierend. Es bleibt zu hoffen, dass sich das BVerwG in seinen Entscheidungsgründen zur Soldatenimpfpflicht, die im Volltext immer noch nicht vorliegen, insoweit klar von den methodischen Fehlern des BVerfG abgrenzen und vorrangig mit der gegebenen Sonderbeziehung und dem (beschränkten) Eigenschutz durch die Covid-Impfung argumentieren wird − auch wenn selbst hieran gerade im Hinblick auf die inzwischen besser erfassten und offener diskutierten Risiken von Impfschäden zunehmend erhebliche Zweifel bestehen (instruktiv hierzu Guericke und zu den methodischen Mängeln der Sicherheitsanalyse des PEI, auf die sich das BVerfG maßgeblich stützt (Rn. 223) die Wissenschaftsinitiative 7 Argumente).“ …
„Eine solche Verengung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative hat das Gericht bei der Bundesnotbremse unter Hinweis auf ihre kurze (nur gut 2-monatige) Geltungsdauer konsequenterweise zu Recht abgelehnt. Die Impfpflicht im Medizin- und Pflegebereich gilt nun aber bereits seit mehr als 10 Monaten und wenn man ihre mangelnde Wirksamkeit gegen Ansteckung und Verbreitung des Coronavirus nicht bereits als offenkundig ansieht, hätte der Gesetzgeber längst neue Erkenntnismöglichkeiten erschließen können und müssen, um dies zu verifizieren. Stattdessen aber verzichtet das RKI unter Hinweis auf mögliche Verzerrungen durch verändertes Testverhalten der Bevölkerung in seinem seit Juli 2022 eigens herausgegebenen Impfmonitoring auf eine Auswertung der gemeldeten PCR-Testergebnisse (Inzidenzen) im Verhältnis zum Impfstatus und beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Darstellung der unstrittigen Effektivität der Impfung gegen Hospitalisierung und Tod. Im Grunde ist die Datenerfassung seit dem Impfbeschluss des BVerfG sogar rückläufig, denn nicht einmal die bis zum letzten erweiterten RKI-Wochenbericht vom 21. April 2022 noch ausgewiesene (In-)Effektivität der Impfung gegen einen milden Verlauf (symptomatische Erkrankung ohne Hospitalisierung), die das Gericht unberücksichtigt ließ (s. oben), wird mehr berechnet und veröffentlicht.
Immerhin ist allerdings auch im aktuellen Impfmonitoring wieder zu lesen (S. 11), dass „die derzeit verfügbaren Impfstoffe mehrere Monate nach der Impfung eine asymptomatische Infektion oder milde Verlaufsform von COVID-19 inzwischen nur noch in geringem Maße verhindern können.“ Auch im Aufklärungsmerkblatt zur Impfung mit mRNA-Impfstoffen mit Stand 29.09.2022 ist nur von einer Wirksamkeit der Impfstoffe gegen schwere und − in reduzierter Form − auch gegen milde Erkrankungen, nicht aber gegen eine Infektion an sich die Rede. Es bleibt somit zu hoffen, dass nunmehr auch die Ständige Impfkommission(STIKO) beim RKI den Mut findet, die Verminderung der Virustransmission unter Vulnerablen und in der Allgemeinbevölkerung als Impfziel aus ihren Empfehlungen zu streichen (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 40/2022, S. 4/5). Ungeimpfte verbreiten das Virus nicht stärker als Geimpfte und ein allgemeiner Verbreitungsschutz ist bei einer geschätzten Immunitätsquote von 95 % der Gesamtbevölkerung gegen die aktuellen Coronavirusvarianten ohnehin kein legitimes Infektionsschutzziel mehr.“