Aus dem Leben einer Rechtsreferendarin
Gespeichert von Hepp am
Welcher Jurastudent kennt das nicht. Morgens schon mit Bauchschmerzen aufwachen, wenn man überhaupt geschlafen hat (Anmerkung: Ich, meinerseits habe es vorgezogen die Nacht hängend über der Kloschlüssel zu verbringen). Kurzum die Nacht war der Horror und es wird noch schlimmer, die Gedanken kreisen stetig um das unausweichlich Bevorstehende: Das schriftliche Examen.
Rückblick auf die letzten Monate, wenn nicht wie in den meisten Fällen sogar Jahre, der Examensvorbereitung. Endlose Stunden mit Probeklausuren verbracht, um sich dann 3 Punkte abzuholen. Zum Repetitor geschleppt, auswendig gelernt, Theorien wiederholt oder ganz neu entdeckt. Der Berg des „das musst du unbedingt wissen fürs Examen“ wurde scheinbar immer großer, die Unsicherheit immer stärker und der Selbstzweifel immer existenzieller. Gesundheit und Beziehungen litten und man hielt es eigentlich nur noch im Kreise der Erlauchten aus, die ebenfalls diese Hölle gerade durchliefen. Diese konnte man wenigstens immer um drei Uhr nachts noch anrufen um schlafraubende Dringlichkeiten zu erfragen wie zum Beispiel: Ist der Widerruf der Anfechtung der Kündigung eigentlich fristgebunden? Unausweichlich stellt man sich die Frage: Und wofür das Ganze? Ja, was ist die Antwort darauf. Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten, aber ich unterstelle jetzt einfach mal, dass es zumindest eine Handvoll junger Juristen gibt deren Antwort in etwa so lautet:
Wenn ich den Horror hinter mir habe, fange ich bei einer Großkanzlei an, verdiene 100.000 Euro im Jahr Einstiegsgehalt, arbeite an spannenden Mandaten, meine Kollegen sind ebenfalls die „Creme de la Creme“ der Juristen und dann…ja, dann hab ich es geschafft.
So so…naja, das kann man aber auch einfacher haben, wie der Fall zeigt, den ich heute morgen vor der großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt miterleben durfte. Leider war keine Presse anwesend, so dass es noch nicht mal einen kleinen Artikel darüber geben wird. Jedoch darf dieser Fall nicht einfach in der Versenkung verebben, da er doch gerade für angehende Juristen ein immenses „Schmunzelpotential“ birgt, so dass ich mich entschlossen haben euch darüber zu berichten. Quasi als kleine Aufmunterung.
09. Juni 2010, 9:00 Sitzungssaal 7, große Strafkammer des Landgerichts Frankfurt. Auf der Anklagebank sitzt ein 27 –jähriger, 1,65 kleiner, manch möchte fast sagen „Jüngling“, hellblaues Hemd, Manschettenknöpfe und Dackelblick, dem Betrug im besonders schweren Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen vorgeworfen wird. Er hatte es geschafft in gleich 3 renommierten Wirtschaftskanzleien in Frankfurt als Rechtsanwalt eingestellt zu werden und dort insgesamt 2 Jahre und 8 Monate zu arbeiten. Wie die Zeugen (allesamt Partner dieser Kanzleien) später aussagen werden, auch nicht besonders schlecht. Soweit noch nicht spektakulär, jedoch hat er das geschafft ohne jemals Jura studiert zu haben. Dass heißt, so ist das nicht ganz richtig, er war einmal für 4 Semester an der J.W.G. Universität für Rechtswissenschaften eingeschrieben, war aber nach eigenen Angaben „nie in einer Vorlesung“. Ach ja, und ehe ich es vergesse, auch die Hochschulreife hatte er bei der Immatrikulation nicht. Sondern lediglich einen Realschulabschluss. Abiturzeugnis gefälscht, erstes Staatsexamenszeugnis gefälscht, zweites Staatsexamenszeugnis gefälscht, Rechtsanwaltszulassung gefälscht, Doktortitel gefälscht, Steuerberaterzeugnis gefälscht. Wenn schon dann richtig muss er sich gedacht haben, da er sich im Abitur einen Notendurchschnitt von 1,2, im ersten Examen 11,5 Punkte und im zweiten 12,75 Punkte attestiert hatte. Die Dissertation hat er laut gefälschter Urkunde mit „Magna cum Laude“ bestanden. Ein hochqualifizierter Nachwuchsjurist also um den sich die Kanzleien reißen. Dabei war er gerade erst 24 Jahre alt als er sich mit diesem Bündel an Qualifikationen bei den Kanzleien bewarb. Um keine unangenehme Fragen zu beantworten, wie er das denn alles in so schnell geschafft habe, machte er sich bei seiner Bewerbung einfach 5 Jahre älter.
Er bekam den Job (aus Rücksichtnahme unterlasse ich es hier die Kanzleien namentlich zu nennen) und arbeitete fortan als Rechtsanwalt. Zu meiner Beruhigung muss ich fast sagen (Stichwort: Warum machen wir das Ganze), fielen seine fehlenden juristischen Kenntnisse irgendwann auf. Jedoch dachte man sich nicht allzu viel dabei und kündigte während der Probezeit, verlängerte dann nochmal, aus Rücksichtnahme, da er seine „schlechte Leistung“ mit dem plötzlichen Selbstmord seiner Mutter erklärte. (Anmerkung: Diese lebt munter bis heute).Noch aus seiner ersten Anstellung heraus bewarb er sich neu und bekam sofort einen neuen Arbeitsplatz. So ging das munter weiter und bei seinem dritten Arbeitgeber hatte er sich bis dahin genügend Fachkenntnisse angeeignet, dass der Partner für den er damals arbeitete, heute im Zeugenstand aussagte, „er sei ein sehr guter, auf dem Gebiet des Steuerrechts qualifizierter, engagierter Mitarbeiter gewesen“. Dann kam eine anonyme Anzeige bei der Polizei, die Sache flog auf. Bis dahin hatte er 179.411 Euro verdient (vergleichsweise noch recht wenig für einen solchen „TOP-Juristen“, bescheiden war er also auch noch!). Wie viele sogenannte „billing-hours“ den immer noch unwissenden damaligen Mandanten für seine „qualifizierte“ Arbeit in Rechnung gestellt wurden, dazu wollte der Partner nicht richtig Auskunft gegeben. Geht es doch auch um einen immensen Prestigeverlust.
Da hört man vom ersten Semester an, ohne „Prädikat“ bist du ein Nichts und dann arbeitet jemand „ohne Alles“ in angesehenen Kanzleien, scheinbar relativ problemlos. Na, wenn das keinen Auftrieb gibt! Aber zurück zum Fall. Vor Gericht zeigte der Angeklagte sich heute reumütig und gab ein umfassendes Geständnis ab. Ob man dem Glauben schenken mag war sicher einer der Diskussionspunkte zwischen dem Vorsitzenden, der Berichterstatterin und den zwei Schöffinnen. Denn schon einmal war er wegen eines ähnlichen Falles beim Amtsgericht in Frankfurt angeklagt gewesen. Strafanzeige hatte damals eine der Kanzleien gestellt, bei der er sich beworben hatte. Da hatte er wohl zu hoch gepokert und sich in beiden Examina die Note „sehr gut“ verpasst. Wie soll er auch als Nichtjurist wissen, dass dies nur alle paar Lichtjahre vorkommt. Mit zweimal 18 Punkten bewirbt man sich nicht, man wird umworben. So was fällt dann schon auf. In der damaligen Verhandlung bekam er eine recht milde Geldstrafe, da ihm zugutegehalten wurde, dass es sich nach seinen Angaben um ein einmaligen „Fehltritt“, praktisch einen Scherz handele und er mittlerweile diesen „Unsinn sein ließe“ und als Musiker arbeite und dabei sehr wenig verdiene. Wieder alles gelogen. In Wirklichkeit hatte er sich für die Verhandlung einen Tag frei genommen von seinem Leben in der Großkanzlei, bei der er inzwischen recht erfolgreich arbeitete für 90.000 Euro Jahresgehalt.
Gut, wie nahm die Sache ihr Ende. Auf die Frage des Vorsitzenden wie der Angeklagte sich sein weiteres Leben vorstelle, konnte die Zuschauerschaft erstaunt vernehmen, dass er mittlerweile in einem „Chemieentsorgungsunternehmen angelernt werde und dort sozusagen Mädchen für alles sei“. Dafür werde er mit 4000,- brutto im Monat und Dienstwagen entlohnt. (Wahnsinn, warum studieren wir überhaupt). Das brachte dann sogar die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf die Palme, die sich im wahren Leben zwei Prädikatsexamen erarbeitet hat und mit ihren Beamtenbezügen da nicht mithalten kann. (Sagen Sie mal, wollen Sie uns eigentlich veräppeln, Sie gehen da doch wieder einer juristischen Tätigkeit nach, oder wieso sollte man Sie als Ungelernten mit 4000,- entlohnen?“).
Er hoffe mit seiner Lebensgefährtin (die übrigens, wie sein Verteidiger im Schlussplädoyer ausführte, zu ihm halten wolle, obwohl sie es sehr schwer habe, da sie weiterhin in einer der Kanzleien beschäftigt sei, die er betrogen habe) ein neues Leben, ohne Betrügereien, beginnen. Die Staatsanwaltschaft beantragte 3 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe. Der Verteidiger hoffte auf ein mildes Urteil zur Bewährung. Und das bekam er dann auch. Nach einer einstündigen Besprechung verkündete der Vorsitzende das Strafmaß: 2 Jahre zur Bewährung.
Jetzt mal ehrlich, warum machen wir das noch mal gleich? Ich kann nur hoffen, dass die Staatsanwaltschaft Revision einlegen wird. Oder was noch viel wahrscheinlicher sein wird, dass der Verurteilte die Bewährungszeit von 5 Jahren nicht straffrei über die Runden bringt…und ich werde mir überlegen mich doch mal bei einer der drei Kanzleien zu bewerben. Sollte ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werde, wüsste ich jetzt schon, was ich auf die obligatorische Frage „…und warum haben Sie sich gerade in unserer Sozietät beworben“ antworten werde!