Gefälschten Impfausweis vorlegen - nicht strafbar (?)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Aufsehen erregte kürzlich eine Entscheidung des LG Osnabrück, mit der die Entscheidung des AG bestätigt wurde.
Sachverhalt: Der Angeklagte hatte einen gefälschten Impfausweis bei der Apotheke vorgelegt, um das digitale Impfzertifikat erstellen zu lassen.
Auf den ersten Blick ist damit § 267 StGB (zumindest) in der Variante des Gebrauchens einer unechten Urkunde erfüllt.
Jedoch stellt § 277 StGB eine lex specialis für Gesundheitszeugnisse dar. Bei dem Impfnachweis handelt es sich um ein "Zeugnis über den Gesundheitszustand" i.S. dieses Tatbestands. Da § 277 eine geringere Strafdrohung darstellt, ist es eine Privilegierung, die für Fälschungen von Gesundheitszeugnissen die Anwendung des § 267 StGB sperrt und zwar unabhängig davon, ob es im konkreten Fall zu einer Strafbarkeit kommt.
In zwei wesentlichen Punkten unterscheidet sich § 277 vom Tatbestand des § 267:
1. ("und") - es muss also zur Fälschung zusätzlich das Gebrauchmachen hinzutreten
2. das gefälschte Gesundheitszeugnis muss einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft vorgelegt werden.
Da auch die Innentendenz nach § 279 StGB ("um eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen") nicht gegeben war, entfiel die Strafbarkeit. Aus juris zur Entscheidung:
Die 3. große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück bestätigte mit Beschluss vom 26. Oktober 2021 die Entscheidung des Amtsgerichts Osnabrück. Das Vorzeigen eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats sei nach der derzeitigen Rechtslage kein strafbares Handeln. Es sei von einer Strafbarkeitslücke auszugehen.
Ein Impfpass sei zwar ein Gesundheitszeugnis im Sinne der Regelung zu §§ 277, 279 StGB. Die Vorlage erfolge jedoch nicht bei einer Behörde, sondern in einer Apotheke. Eine Apotheke sei auch unter Berücksichtigung der Regelung zu § 22 Abs. 5 Nr. 1 IfSG keine Behörde im Sinne des Strafgesetzbuches, vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB. Eine Apotheke sei ein privates Unternehmen, welches nicht in das Gefüge der staatlichen Verwaltung eingeordnet sei.
Die allgemeinen Regelungen zur Herstellung einer unechten Urkunde, zum Fälschen einer echten Urkunde sowie zur Verwendung einer unechten oder verfälschten Urkunde gemäß § 267 StGB würden keine Anwendung finden, da die Regelungen zu §§ 277, 279 StGB als Privilegierung mit einer deutlich niedrigeren Strafandrohung spezieller seien und daher ein Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen sperren würden.
Ebenso wenig sei eine Strafbarkeit nach § 75a Abs. 2 Nr. 1 IfSG gegeben. Der Straftatbestand könne nur von einer zur Durchführung der Schutzimpfung berechtigten Person begangen werden, insbesondere durch den die Impfung durchführenden Arzt.
Nun ist es so, dass diese Privilegierung (und damit ggf rechtliche "Strafbarkeitslücke") keineswegs unbekannt ist. Seit Jahren weisen viele Kommentatoren darauf hin, dass diese Privilegierung, die historisch möglicherweise einmal sinnvoll war, schlicht nicht mehr erklärbar ist, vgl. nur MüKo-StGB Erb Rz.1 zu § 277 StGB:
§ 277 gilt ebenso wie die §§ 278, 279 noch in der ursprünglichen Fassung des StGB von 1871. Soweit diese Vorschriften die Echtheit von Gesundheitszeugnissen schützen, haben sie im heutigen System der Urkundendelikte keine strafbarkeitsbegründende Funktion, sondern wirken sich nur in mehrfacher Hinsicht (Fälschung nach § 277 lediglich im Rahmen eines zweiaktigen Delikts strafbar, Täuschung muss gegen eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft gerichtet sein, keine Versuchsstrafbarkeit, wesentlich geringerer Strafrahmen) als eine Privilegierung der Urkundenfälschung aus, für die schlechthin kein vernünftiger Grund ersichtlich ist. Die Vorschriften sind mithin dringend reformbedürftig.
Das ist doch gleich mal eine Aufgabe für den neuen Bundestag, oder?