EuGH „nuanciert“ seine Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Der EuGH (Urteil vom 22.11.2011 – Rechtssache C-214/10 – Schulte gegen KHS AG) hat seine – jedenfalls hierzulande – sehr kritisch aufgenommene Rechtsprechung in Sachen Schultz-Hoff(Urteil vom 20.1.2009, NZA 2009, 135) in einem entscheidenden Punkt korrigiert und dem Ansammeln von Urlaubsansprüchen über Jahre hinweg Grenzen gesetzt. Dabei geht es um die Urlaubsansprüche langfristig erkrankter Arbeitnehmer. In der Entscheidung Schultz-Hoff hatte der EuGH entschieden, dass eine nationale Bestimmung, mit der ein Übertragungszeitraum festgelegt wird, nicht das Erlöschen des Anspruchs des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub vorsehen könne, wenn der Arbeitnehmer nicht tatsächlich die Möglichkeit gehabt habe, diesen Anspruch auszuüben. In dem vom LAG Hamm vorgelegten Fall, hatte der dauerhaft erkrankte Kläger mit einer im März 2009 erhobenen Klage Abgeltung des nicht genommenen Jahresurlaubs für die Urlaubsjahre 2006, 2007 und 2008 verlangt. Der Arbeitgeber berief sich auf eine tarifvertragliche Höchstfrist für die Übertragung, die 15 Monate betrug. Der EuGH erkennt durchaus, dass er auf der Linie der Schultz-Hoff-Entscheidung eigentlich zugunsten des Arbeitnehmers entscheiden müßte. Dies erscheint ihm jedoch nicht angemessen, so dass die Schlussfolgerung aus der Schultz-Hoff-Entscheidung „unter besonderen Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nuanciert werden“ müsse. Anderenfalls wäre nämlich ein Arbeitnehmer wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, berechtigt, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln. Der EuGH konstatiert sodann, dass ein Recht auf ein derartiges unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entspreche. Über eine gewisse Grenze hinaus fehle dem Jahresurlaub nämlich seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit. Bleibt noch die Frage, wie lang der Übertragungszeitraum bemessen sein muss. Dazu sagt der EuGH: „Ein Übertragungszeitraum muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten.“ Und ganz konkret: „Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass ein Zeitraum von 15 Monaten wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, dem Zweck dieses Anspruchs nicht zuwiderläuft, da er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet.“ Das Urteil sorgt für Rechtssicherheit und vermeidet nicht kalkulierbare Kostenbelastungen. Arbeitgebern ist dringend anzuraten, so schnell wie möglich Übertragungsfristen – speziell für den Fall der krankheitsbedingten Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs – Übertragungsfristen in den Arbeits- und Tarifverträgen zu verankern. Auch der Gesetzgeber sollte über eine entsprechende Ergänzung des § 7 BUrlG nachdenken.