Der richtige Umgang mit dem Internet oder gerichtsbekannte Weisheiten bei wikipedia
Gespeichert von Dr. Klaus Lützenkirchen am
Ich komme viel herum und kann daher berichten, wo überall Mietrecht gemacht wird. Dabei lerne ich auch unterschiedliche Qualitäten kennen. So weiß ich, dass in Recklinghausen bei Betriebskosten die Amtsermittlung herrscht (nur die Belegeinsicht soll vom Mieter noch selbst durchgeführt werden). Vom Landgericht München habe ich gerade erfahren, dass eine Berufung zurückzuweisen ist, die auf Rückforderung nach § 812 BGB wegen Flächenabweichung überzahlter Miete gestützt wird, weil ein anfänglichen Mangel vorliegt und im Mietvertrag die Garantiehaftung (§ 536a BGB) ausgeschlossen ist.
Das sind traurige Erkenntnisse, aber man hilft ja gern (was für viele Richter aber einem GAU gleichkommt, wenn es der Anwalt "besser" weiß - es gibt aber auch Richter, die Hinweise dankbar aufnehmen).
Bisher konnte ich immer mit Stolz auf das Amts- und Landgericht Köln verweisen. Hier bin ich "groß" geworden und konnte mich mit erfahrenen und kompetenten Richtern messen. Denn schon beim Amtsgericht gibt es über 15 Spezialabteilungen für Mietrecht und die beiden Berufungskammern sind auch spezialisiert. Wenn sie Mietrecht anwenden, wissen sie, was sie tun.
Das habe ich jedenfalls immer erzählt, wenn ich andernorts war und das Bemühen nicht spezialisierter Richtern um das (Miet-) Recht beobachtet habe.
Nun sind wir Kölner oft geneigt, unserem 1.FC nach zu eifern. Der hatte auch einmal einen Spitzenplatz und versucht seit seinem letzten Aufstieg wieder Anschluss an das gehobene Mittelfeld zu finden.
Zu meinem Bedauern ist das Amtsgericht nun auch infiziert. Ob es nun gerade wieder aufwärts geht oder wir - fußballerisch gesehen - noch vor dem Abstieg stehen, ist philosophisch. Jedenfalls hat sich das Gericht geoutet. Im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO gelten auch in Köln alle Regeln - insbesondere die des Internets. Anstelle der Beweisaufnahme über die angebliche Gesundheitsgefährdung von Bisphenol A gewinnt man seine Erkenntnisse von "wikipedia" und schon ist die fallentscheidende Tatsache "gerichtsbekannt" (AG Köln v. 20.4.2011 - 201 C 546/10, NZM 2011, 629).
Nun muss man nicht wissen, dass in einer Wohnanlage mit über 400 Wohnungen - trotz der zutreffenden Kritik in der Fachpresse (vgl. Laubinger, ZMR 2012, 25 f.) - nicht der Inhalt der Entscheidung wahrgenommen wird, sondern nur das Egebnis. Dennoch kann man merken, dass auch in der Beschreibung bei wikipedia nicht die Adresse des konkreten Mietobjektes steht. Auch ist der Verfasser der Beschreibungen bei wikipedia nicht bekannt (ich unterstelle nicht, dass der Mietervertreter damit etwas zu tun hat). Selbst das Umweltbundesamt macht deutlich, dass alles zum Thema Bisphenol A wissenschaftlich bisher unverbindlich ist. Ich erwarte auch keinen Hinweis auf eigene Sachkunde des Gerichts - wenn sie besteht.
Ich hänge aber imnmer noch an Art. 20 GG. Denn mein Vater hat mir erzählt, wie es war, als wir noch keinen Rechtsstaat hatten. Deshalb erkläre ich meinen Mandanten, dass über streitige Tatsachen Beweis erhoben werden muss, wenn sie zwar abwegig aber dennoch entscheidungserheblich sind. Das bedeutet bei einer Gesundheitsgefährdung, dass zunächst nachgewiesen werden muss, dass ein gefährlicher Stoff überhaupt vorhanden ist. Das macht selbst das Landgericht Dresden (vgl. LG Dresden v. 25.2.2011 - 4 S 73/10, NZM 2011, 743 - auch so eine schmerzliche Erfahrung)
Auf die am Gesetz orientierte Qualität habe ich mich bisher in Köln verlassen können. Es gibt nicht nur dieses Urteil, das mich in die Ferne treibt.