EGMR: Gemeinsames Sorgerecht ist nicht zwingend
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
1. In seinem Urteil vom 13.12.2009 ( NJW 2010, NJW Jahr 2010 Seite 501 – Zaunegger/Deutschland) hat der Gerichtshof festgestellt, es sei nicht verhältnismäßig verstoße gegen Art. 14 (Diskriminierungsverbot) i.V. mit Art. EMRK Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Famileinlebens), dass die Übertragung der Sorge allein auf die Mutter gerichtlich nicht überprüft werden konnte. Nach dem Urteil des BVerfG vom 21.7.2010 (NJW 2010 Seite 3008) und der Änderung von Art. EGBGB Artikel 224 § EGBGB Artikel 224 § 2 EGBGB kann das Familiengericht jetzt prüfen, ob eine gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Kindes dient. Deswegen ist die Beschwerde insoweit offensichtlich unbegründet.
2. Die deutschen Gerichte haben abgelehnt, dem Vater das Sorgerecht zu übertragen oder eine gemeinsame elterliche Sorge anzuordnen. Bei dieser Entscheidung hatten sie einen weiten Ermessensspielraum.
3. Die Ablehnung der deutschen Gerichte, dem Beschwerdeführer das Sorgerecht zu übertragen, war ein Eingriff in sein in Art. EMRK Artikel 8 EMRK garantiertes Recht auf Achtung seines Familienlebens. Der war nach Art. EMRK Artikel 8 EMRK Artikel 8 Absatz II EMRK gerechtfertigt, denn er war „gesetzlich vorgesehen“, diente dem berechtigten Ziel der Förderung des Kindeswohls und war „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“, insbesondere auf „stichhaltige und ausreichende“ Gründe gestützt.
EGMR (V. Sektion), Entsch. v. 21.2.2012 2012-02-21 Aktenzeichen – 50216/09 (Döring/Deutschland)
Aus den Gründen
Insbesondere wegen der anhaltenden und unüberbrückbaren Differenzen zwischen den Eltern sowie der mangelnden Einigung in Fragen der Erziehung, der Betreuung und des Aufenthaltsortes ihres Sohnes sind die deutschen Gerichte zu dem Schluss gekommen, dass auch die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl abträglich wäre, und haben deshalb den Antrag des Bf., die Zustimmung der Mutter nach Art. EGBGB Artikel 224 § EGBGB Artikel 224 § 2 lit.a EGBGB zu ersetzen, zurückgewiesen.
Die deutschen Gerichte haben ihre Beschlüsse mit Erwägungen begründet, die auf eine Regelung der elterlichen Sorge zum Wohl des Kindes gerichtet waren, und diese Gründe waren i. S. von Art. EMRK Artikel 8 EMRK Artikel 8 Absatz II EMRK stichhaltig und ausreichend.
Darüber hinaus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen des Bf. im Verfahren der deutschen Gerichte nicht ausreichend geschützt worden wären. Das AG Speyer hat die Eltern angehört sowie Stellungnahmen und Berichte der Verfahrenspflegerin, des zuständigen Jugendamts und die Feststellungen des psychologischen Sachverständigen berücksichtigt. Der Bf. konnte in den Verfahren vor dem AG und dem OLG alle Argumente für eine Übertragung des Sorgerechts für seinen Sohn auf sich vorbringen. Es wurde ihm insbesondere Gelegenheit gegeben, den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 19. 6. 2006 zu befragen, und er hatte auch Zugang zu allen maßgeblichen Informationen, auf die sich die Gerichte gestützt haben.
Was den Antrag des Bf. angeht, den Sachverständigen von einem Pädagogen befragen zu lassen, hat das AG Speyer in seinem Beschluss vom 25. 7. 2005 festgestellt, die beantragte Maßnahme sei im deutschen Recht grundsätzlich nicht vorgesehen, und überzeugend ausgeführt, dass im Fall des Bf. keine besonderen Umständen vorlägen, die eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigen würden. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass es generell Sache der staatlichen Gerichte ist, die ihnen vorliegenden Beweise zu würdigen, einschließlich der Mittel zur Feststellung des erheblichen Sachverhalts
Das Kind ist vom AG zuletzt im Jahr 2004, d.h. zwei Jahre vor dessen Beschluss vom 23. 8. 2006, angehört worden. Die Entscheidung der deutschen Gerichte, das Sorgerecht für den Sohn allein bei der Mutter zu belassen, beruhte aber auf ihrer Beurteilung, eine Übertragung des Sorgerechts oder eine gemeinsame elterliche Sorge sei dem Wohl des Kindes nicht dienlich, weil die Eltern offensichtlich und unbestritten keine Kooperationsbereitschaft zeigten. Außerdem hatte die Verfahrenspflegerin, die an der Gerichtsverhandlung am 19. 6. 2006 teilgenommen hat, erst kurz vor diesem Termin mit dem Kind gesprochen. Unter diesen Umständen war die Entscheidung des AG und des OLG, dass eine erneute Anhörung des Kindes für die Entscheidung über eine Sorgerechtsübertragung nicht nötig war und es keines weiteren psychologischen Sachverständigengutachtens bedurfte, nicht unangemessen.
Der Wunsch des Kindes, bei seinem Vater zu wohnen, ist im früheren Verfahren über das Umgangsrecht berücksichtigt worden. Das AG Speyer hatte mit Beschluss vom 5. 11. 2002 dem Bf. im Wege einer einstweiligen Anordnung das Recht auf betreuten Umgang mit seinem Sohn eingeräumt; dieses Recht wurde mit Beschluss des OLG Zweibrücken vom 15. 7. 2005 durch ein Recht auf regelmäßigen nicht betreuten Umgang mit seinem Sohn ersetzt. Diese Entscheidungen verfolgten das Ziel, eine übermäßige Einschränkung des Verhältnisses zwischen dem Bf. und seinem Sohn zu vermeiden.
Aus diesen Erwägungen und unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums, der den staatlichen Behörden und Gerichten in Sorgerechtsfragen zusteht, war die Verfahrensweise der deutschen Gerichte unter den gegebenen Umständen angemessen, und sie haben mit ihren Beschlüssen in dem Sorgerechtsverfahren einen gerechten Ausgleich zwischen dem Wohl des Kindes und den Interessen der Eltern hergestellt.
Folglich ist auch dieser Teil der Beschwerde offensichtlich unbegründet und nach Art. EMRK Artikel 35 lit.a, IV EMRK zurückzuweisen .