OLG Braunschweig: Poliscan weiterhin standardisiert. Messwerte auch außerhalb des Messbereichs? Ist egal!
Gespeichert von Carsten Krumm am
Die OWi-Welt rund um das Messystem Poliscan speed dreht sich gefühlt immer schneller. Derzeit geht es ja stets darum: Verstößt das System gegen die Bauartzulassung? Und wenn ja: Welche Folgen hat das?
Das OLG Braunschweig geht da voll und ganz mit dem ptb:
(1) Dem Antrag auf Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens zur Überprüfung der gemessenen Geschwindigkeit musste nicht nachgegangen werden. Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Amtsgericht vielmehr nachvollziehbar zur Überzeugung gelangt, dass das Messergebnis zutrifft, der Sachverhalt daher geklärt und die Wahrheit gefunden ist. Bei dem vorliegend verwendeten Messverfahren handelt es sich um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, was nachstehend noch weiter begründet werden wird, und konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung haben - nach den Ausführungen des Amtsgerichts in den Urteilsgründen - nicht vorgelegen. Der Tatrichter würde die an seine Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen aber überspannen, wenn er ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung an der Zuverlässigkeit der Messung zweifelt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2013 - 1 RBs 2/13; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.10.2012 - 1 Ss Bs 12/12; OLG Braunschweig; Beschluss vom 11.04.2013, 1 Ss (OWi) 71/13; alle zitiert nach juris; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Auflage 2015, Rn. 2322). Auch der Begründung der Rechtsbeschwerde ist nicht zu entnehmen, dass dem Amtsgericht konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion der Anlage bekannt gewesen oder durch den Betroffenen im konkreten Fall aufgezeigt worden sind.
Das Amtsgericht durfte daher - nachdem es sich von der ordnungsgemäßen Einrichtung des stationären Messgeräts, seiner gültigen Eichung sowie der Schulung der datenauswertenden Messbeamten überzeugt hatte - mangels konkreter Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen.
Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem hier eingesetzten PoliScan Speed mit der Softwareversion 3.7.4 handelt es sich - entgegen der Auffassung des Betroffenen - um ein sog. standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27.01.2017, 1 OWi 1 Ss Bs 53/16; OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2014, 1 RBs 84/14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.10.2014, 2 (7) SsBs 454/14 - AK 138/14; alle zitiert nach juris).
Denn entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung ergeben sich zureichende konkreten Anhaltspunkte für mögliche Fehlerquellen des Messverfahrens nicht aus der zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim vom 29.11.2016. Das Amtsgericht Mannheim (Beschluss vom 29.11.2016, 21 OWi 509 Js 35740/15, zitiert nach juris) war nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan Speed der innerstaatlichen Bauartzulassung in wesentlichen Teilen nicht entspreche. Denn gutachterliche Untersuchungsergebnisse hätten ergeben, dass bei Messserien Abweichungen von den Verkehrsfehlergrenzen über den zugelassenen 3 Prozent festgestellt worden seien. Außerdem hätten Messwertbildungen teilweise außerhalb des in der Bauartzulassung definierten Messbereichs - zwischen 50m und 20m - stattgefunden. Da das Gerät mithin anders als in der Bauartzulassung beschrieben messe, sei bei jeder einzelnen Messung zu prüfen, ob die zur konkreten Messwertbildung beitragenden Rohdaten die Bedingungen der Bauartzulassung einhalten. Dies gelte, solange die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt die im Raum stehenden Fragen nicht hinreichend beantworte.
Der die Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim tragenden Feststellung, wonach das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan Speed der innerstaatlichen Bauartzulassung in wesentlichen Teilen nicht entspricht, kann jedoch nicht gefolgt werden, weil die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (nachfolgend: PTB) die durch das Amtsgericht Mannheim aufgeworfenen Fragen mittlerweile mehrfach nachvollziehbar beantwortet hat (vgl. Unveränderte Gültigkeit der Bauartzulassung zur Eichung des Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes PoliScan Speed der Fa. VITRONIC, Stand: 16.12.2016, PTB, Braunschweig und Berlin, DOI: 10.7795/520.20161209A; Antworten auf häufige Fragen zum Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan Speed der Fa. VITRONIC, Stand: 12.01.2017, PTB, Braunschweig und Berlin, DOI: 10.7795/ 520.20161 209B). Diese Stellungnahmen vom 16.12.2016 und vom 12.01.2017 wurden durch den Tatrichter rechtsfehlerfrei in die Hauptverhandlung eingeführt und können vom Rechtsbeschwerdegericht darüber hinaus im Freibeweisverfahren herangezogen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage 2017, § 337, Rn. 31 sowie § 244, Rn. 9). Diese technischen Stellungnahmen ergeben aber, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim nicht länger haltbar ist. Denn bereits in der Stellungnahme der PTB vom 16.12.2016 wird nachvollziehbar und schlüssig ausgeführt, dass die Messrichtigkeit des Messgeräts unverändert bleibt, selbst wenn weitere Messpunkte in die Bildung des geeichten Messwertes einfließen, die sich außerhalb des Messbereichs von 50m bis 20m befinden. Die zusätzlichen Punkte seien genauso verlässlich wie diejenigen, die innerhalb des Messbereichs lägen. Durch die zusätzlichen Punkte werde die Messung im Gegenteil noch verstärkt, weil mehr Datenpunkte zur Bestimmung der Geschwindigkeit zur Verfügung stünden, teilt die PTB mit. In der rechtsfehlerfrei in die Hauptverhandlung eingeführten Stellungnahme der PTB vom 12.01.2017 ist zudem plausibel und nachvollziehbar ausgeführt, dass entgegen des Vortrags des Betroffenen eine Verletzung der Verkehrsfehlergrenzen durch die intensiven Bauartprüfungen bei der Zulassung, die umfangreichen Selbsttests des Gerätes, die nachfolgenden Eichungen sowie die Bedienung gemäß der Gebrauchsanweisung durch qualifiziertes Personal ausgeschlossen ist (Ziffer 6 der Antworten auf häufige Fragen zum Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan Speed der Fa. ... Stand: 12.01.2017, PTB, B. und B., DOI: 10.7795/ 520.20161209B).
Diesen amtlichen Stellungnahmen kommen in Verbindung mit der durch die PTB erteilten Bauartzulassung die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu (vgl. hierzu eingehend und mit zahlreichen w. Nw.: OLG Bamberg, Beschluss vom 04.04.2016, 3 Ss OWi 1444/15; juris), durch welches die generelle Eignung des Messverfahrens überprüft und anerkannt wurde, und mit der Eichung wird dann die Zuverlässigkeit des konkret verwendeten Messgeräts und seine Übereinstimmung mit der Bauartzulassung bestätigt. Flankierend muss zu diesen beiden Anforderungen dann nur noch treten, dass das Messgerät - wie hier bei einer stationären Messstelle - ordnungsgemäß durch geschultes Personal eingerichtet und in Betrieb genommen wurde und dann bis zum Zeitpunkt keine technischen Änderungen vorgenommen wurden, die Einfluss auf die Messungen haben könnten. Wenn sich der Tatrichter von diesen Punkten überzeugt, kann er Messungenauigkeiten, die den bei der Zulassung bestimmten Toleranzwert überschreiten, sicher ausschließen und muss den bei der Messung auf diese Weise konkret ermittelte Geschwindigkeitswert der Entscheidung zugrunde legen.
Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim bestand damit für den Tatrichter im vorliegenden Fall kein Anlass, ein technisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hat. Weil die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich war, erübrigte sich auch die im Rahmen eines solchen Gutachtens vorzunehmende Untersuchung des Datensatzes (Rohdaten) der Messung beim Betroffenen.
Dazu bemerkt - was als gerichtskundige Tatsache berücksichtigt werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 60. Aufl., § 337, Rn. 25) - der Senat nur noch ergänzend, dass der Sachverständige (DEKRA) Dipl.-Ing. S. in seinem - in anderer Sache eingeholten - Gutachten vom 6.12.2016 nach Auswertung aller Rohmessdaten einer Messreihe vom 08.03.2016 bis zum 09.03.2016, mithin bis 3 Tage vor der hier gegenständlichen Messung, zu dem Ergebnis gelangt ist, dass in das dort zu prüfende Messergebnis gerade keine Einzelwerte aus einem der Bauartzulassung zuwiderlaufenden Messbereich eingeflossen sind und sich insgesamt auch sonst keinerlei Anhaltspunkte für eine technische Fehlfunktion der Messanlage ergeben haben. Da es sich bei der Anlage um eine stationäre, automatisch arbeitende Messanlage handelt, die nach der erfolgten Ersteinrichtung nebst Abnahme keinen weiteren Bedienereingriff mehr erfordert, können diese Erkenntnisse auf den vorliegenden Fall übertragen werden.
Vor diesem Hintergrund war die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich, weil dadurch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts vernünftigerweise nicht zu erwarten war.
Das Amtsgericht hat den Beweisantrag daher vollkommen zurecht abgelehnt (vgl. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).
OLG Braunschweig Beschl. v. 13.6.2017 – 1 Ss (OWi) 115/17, BeckRS 2017, 113535