Bayerischer Verfassungsgerichtshof verbietet Kreuze in Gerichtssälen! Oder?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Zugegeben, die Überschrift ist etwas provokativ formuliert. Man kann sogar sagen, sie ist falsch. Denn der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 14. März 2019 auf eine Popularklage einer muslimischen Religionsgemeinschaft gar nicht über die Kreuze und Kruzifixe entschieden, die nach wie vor wohl die meisten bayerischen Gerichtssäle schmücken, sondern über Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG, der den dortigen Amtsträgern das sichtbare Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke bei Amtshandlungen verbietet.
Art. 11 BayRiStAG „(2)1Richter und Richterinnen dürfen in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können. 2Satz 1 gilt für Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälte und Landesanwältinnen entsprechend. 3Weitergehende Vorschriften bleiben unberührt.“
Dieses Verbot sei zwar ein Eingriff in die Religions-und Bekenntnisfreiheit der betreffenden Richter-innen und Staatsanwälte/innen, dieser sei aber mit der bayerischen Verfassung vereinbar. Die Argumente, wie sie in der Pressemitteilung wiedergegeben werden, lassen sich hören (zitiert nach der Pressemitteilung des Gerichts):
Entscheidend sei dabei erstens die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit derjenigen, die gezwungen seien, an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen, an
„der staatliche Repräsentanten mitwirken, die ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis nach außen kundtun. Bei der Tätigkeit in der Gerichtsverhandlung oder bei sonstigen gerichtlichen Amtshandlungen mit Außenwirkung tritt die Wahrnehmung der staatlichen Funktion in den Vordergrund. Daher kann das Tragen religiös konnotierter Kleidung oder Symbole auch nicht dem Bereich der privaten Selbstdarstellung des Amtsträgers zugeordnet werden.“
Zudem stehe zweitens
„das Grundrecht der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens … im Widerstreit zur Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, die in besonderer Weise für den Bereich der Justiz gilt. Der Staat muss gewährleisten, dass die Gerichte mit Richtern besetzt sind, die unabhängig und unparteilich sind und die Gewähr von Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bieten."
Das Tragen „religiös oder weltanschaulich konnotierter Kleidungsstücke oder Symbole“ stehe dazu im Gegensatz. Dieses begründe nämlich grundsätzlich „Zweifel an der Unvoreingenommenheit des jeweiligen Amtsträgers“ und deshalb werde „das verfassungsrechtliche Gebot der Neutralität der Gerichte beeinträchtigt.“
In der Abwägung sei es
„verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Verfassungsgütern, die mit dem Verbot geschützt werden, größeres Gewicht beigemessen hat als der mit der angegriffenen Regelung verbundenen Beeinträchtigung des Grundrechts der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens.“
Dem kann eigentlich nur zugestimmt werden: Der Staat ist verpflichtet, Neutralität der Gerichte herzustellen und die symbolische religiöse Bekleidung der Richter und Staatsanwälte kann beim rechtsunterworfenen Publikum Zweifel an dieser Neutralität wecken. Das Grundrecht der betr. Amtsträger muss dahinter zurücktreten.
All diese Argumente treffen jedoch auch auf die Ausstattung der Gerichtssäle mit christlichen Symbolen zu, wie sie in Bayern noch üblich sind. Der Verfassungsgerichtshof (Rz. 40) allerdings dazu:
„Ein Verstoß des Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG gegen den Gleichheitssatz kann nicht damit begründet werden, Kreuze seien in Verhandlungsräumen weiterhin erlaubt. Die Ausstattung von Verhandlungsräumen betrifft ersichtlich einen anderen Sachverhalt als die durch Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG geregelte Frage des Tragens von religiösen oder weltanschaulichen Symbolen durch die betroffenen Amtsträger. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Ausstattung des Verhand-lungsraums Angelegenheit der Gerichtsverwaltung und daher nicht geeignet ist, Zweifel an der Unabhängigkeit und Neutralität des einzelnen Amtsträgers hervorzurufen.“
Der Verfassungsgerichtshof argumentiert also entsprechend einer Äußerung des vormaligen bayerischen Justizministers, der bei Einführung der zur Debatte stehenden Norm sagte (Bayernkurier vom 23.02.2018):
„Von der Novelle ausgenommen sei aber weiterhin das Kreuz in Gerichtssälen, dieses dürfe weiter hängen bleiben, sagte Bausback. Religiös geprägte Kleidung und Symbole durch Richter und Staatsanwälte auf der einen Seite und das Kruzifix im Gerichtssaal auf der anderen Seite seien „zwei getrennte Fragestellungen“, heißt es aus dem Justizministerium. Bausback hatte bereits im Herbst 2017 in der Passauer Neuen Presse betont, dass die Kreuze Ausdruck der kulturellen Identität Deutschlands seien. „Und das wird auch so bleiben“, so der Minister. Er begründete das so: „Die Wand, an der das Kreuz hängt, trifft keine Entscheidung. Entscheidungen treffen im Gerichtssaal allein die Richter und Staatsanwälte.“
Natürlich ging es in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht um die Kreuze, sondern um einen anderen Sachverhalt. Aber was diesen anderen Sachverhalt angeblich materiell als "anderen" auszeichnet, dazu ist dem Gericht und dem früheren Justizminister zu widersprechen.
Dafür möchte ich drei Argumente anführen:
1. Die Ausstattung der Räumlichkeiten, in denen Recht gesprochen wird, wird der Institution insgesamt zugeordnet, in und „unter“ der die dortigen Richter-innen Recht sprechen. Dem unvoreingenommenen Bürger, der etwa selbst nicht den christlichen Glauben hegt oder aber z.B. eine strikte Trennung von Staat und Religion befürwortet, ist gezwungen sein Recht in einem Gerichtssaal zu suchen und er erhält dort zwangsläufig den Eindruck, die Institution selbst sei nicht vollständig und ausschließlich Recht und Gesetz unterworfen, sondern auch den moralischen bzw. theologischen Geboten des christlichen Glaubens bzw. der christlichen Kirchen. Gerade weil dies institutionell (durch die Gerichtsverwaltung) angeordnet ist, wird hier vom Bürger nicht der Bezug zum individuellen Glauben der Richterperson als Privatperson hergestellt, sondern er muss zwangsläufig annehmen, dies sei der offizielle Wille der Institution "Gericht" oder "Justiz" insgesamt, die dieses religiöse Symbol (und nur dieser einen Religion) im Gerichtssaal sichtbar aufhängt, und der die dort tätigen Richter-innen angehören.
2. Jede und jeder vernünftige Rechtsunterworfene weiß, dass auch Richter Menschen sind und dass Menschen in ihrem Innersten nicht „neutral“ sind. Richter-innen dürfen durchaus privat und individuell einen Glauben hegen oder Atheisten sein, wenn sie in ihrem Beruf Recht sprechen. Sie dürfen auch dann einer Partei angehören, wenn es um Parteienrecht geht, sie dürfen Vegetarier sein, wenn es um die Lebensmittelkontrolle beim Fleisch geht, sie dürfen selbst Waffensammler sein, wenn es um Waffenrecht geht, sie dürfen privat Autohasser oder SUV-Fahrer sein, wenn es um Dieselverbote geht etc. pp. Dass ein Richter eine Kippa trägt, eine Richterin ein Kopftuch, ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin sichtbar ein großes Kreuz um den Hals, ändert daran nur, dass diese innere Haltung nach außen gezeigt wird. Gerade das Verbot der Verschleierung verschleiert ggf. die privat gehegte Überzeugung zur Verschleierung religiös verpflichtet zu sein, um so nach außen eine (nicht vorhandene) Neutralität der Richterperson zu signalisieren. Jedoch: Wer es nicht einmal über sich bringt, auf ein (ihm/ihr religiös geboten erscheinendes) Kleidungsstück zu verzichten, stellt damit eben die Religion über das Recht, was er/sie sprechen soll, und dies spricht dann auch gegen die Eignung dieser Person als Richter-in tätig zu sein.
Ein Verbot, wie es Art. 11 BayRiStAG regelt, erscheint mir daher richtig, auch mit den Argumenten des Verfassungsgerichtshofs, denn es soll nach außen deutlich werden, dass ein Richter/ eine Richterin nicht privat Recht spricht, sondern in der Funktion als „neutraler“, nur dem Gesetz gehorchendem Entscheider in einem rechtlichen Konflikt. Aber dies muss erst recht für religiöse Symbole als Ausstattungsmerkmale des Gerichtssaals gelten. Der Raum hat nämlich von vornherein gar kein „Inneres“, das er nach außen tragen oder zeigen könnte. Der ungeschmückte Saal ist von sich aus neutral. Wenn nun die Behörde aktiv ein Kreuz anbringen lässt, dann stören die in der Behörde maßgeblichen Menschen diese Neutralität des Gerichtssaals und bringen damit zum Ausdruck, dass sie sich aktiv vom Neutralitätsgebot distanzieren. Und das völlig ohne Grundrechte, die der Staat und seine Behörden gegen die Bürger ohnehin nicht ins Feld führen können. Das Argument, die Wand treffe keine Entscheidung, ist hingegen nicht sachgerecht, denn mit diesem Argument wäre auch gestattet, ganz andere religiöse Symbole, Werbebanner oder sogar Wahlkampfplakate anzubringen. Dass in bayerischen Gerichtssälen Parteiplakate etwa der Regierungsparteien nichts zu suchen haben, dürfte jedem einleuchten, selbst wenn ein Minister darauf beharrt, eine Wand treffe ja keine Entscheidungen. Im Gegenteil: Es sind ja doch Menschen, die die Wand mit dem Kreuz ausstatten und zwar Menschen, die in dieser Institution über Macht verfügen. Das Beharren auf diesem Symbol an der Wand macht deutlich, dass die Regierungsspitze, die zuständigen Gerichtsverwaltungen und die Richter-innen in diesen Sälen das Neutralitätsgebot gerade nicht wirklich ernst nehmen, sondern aktiv durchbrechen, ohne sich dafür auf ein Grundrecht berufen zu können.
3. Zutreffend geht es bei der Frage der Verfassungsgemäßheit der Bekleidungsvorschrift um eine Abwägung zwischen den Grundrechten derjenigen, die als Amtsträger ein solches Symbol tragen wollen und sich möglicherweise aufgrund ihrer Religion dazu verpflichtet sehen, auf der einen und der negativen Bekenntnisfreiheit der Rechtsunterworfenen auf der anderen Seite. Da aber weder Räume noch Gerichtsverwaltungen Grundrechte haben, folgt aus der Argumentation des Verfassungsgerichtshofs quasi zwingend dasselbe, was das Bundesverfassungsgericht schon 1973 festgestellt hat: - 1 BvR 308/69 - vom 17. Juli 1973:
Der Zwang, entgegen der eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung in einem mit einem Kreuz ausgestatteten Gerichtssaal verhandeln zu müssen, kann das Grundrecht eines Prozeßbeteiligten aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzen.
Diese Entscheidung des BVerfG hatte zum Anlass, dass dem Beschwerdeführer vom Verwaltungsgericht kein Gerichtssaal ohne christliche Symbolik angeboten wurde.
Natürlich weiß das auch der (ehemalige) bayerische Justizminister und sagt deshalb (im oben schon zitierten Artikel des Bayernkurier):
„Zudem könne das Kreuz im Einzelfall abgehängt werden, wenn Verfahrensbeteiligte sich in ihrem Grundrecht der Glaubensfreiheit beeinträchtigt fühlten und darlegten, dass eine Verhandlung unter dem Kreuz für sie eine unzumutbare Belastung darstelle.“
Genügt es aber tatsächlich zur Wiederherstellung der Neutralität der (von der Behörde unter Verstoß gegen das Neutralitätsgebot geschmückten) Wand, dem Bürger zu gestatten, sein Grundrecht aktiv geltend zu machen? Auch wenn das dazu anzurufende Gericht über die Angelegenheit des Bürgers noch entscheiden soll?
Denn wie soll man sich das vorstellen? Der Bürger, der nicht unter dem Kreuz verhandeln will, muss erst darlegen, dass ihm die Verhandlung unter dem Kreuz „unzumutbar ist“ und soll dann noch auf ein günstiges Urteil desselben Gerichts hoffen? Jeder Bürger, dem der offenkundige Neutralitätsverstoß aufstößt, soll sich also erst quasi als Querulant gerieren, bevor ihm das Recht gewährt wird, das der Verfassungsgerichtshof (richtigerweise) höher einschätzt als die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Richter-innen, obwohl es hier (im Falle der Wand) gar keinen Grundrechtsträger als Gegenüber gibt? Es gibt nicht einmal ein parlamentarisches Gesetz als Rechtsgrundlage für das Aufhängen der Kreuze.
Wenn sich der Verfassungsgerichtshof nicht in kaum auflösbare Widersprüche verwickeln will, müsste eine künftige Klage gegen Kreuze und Kruzifixe in Gerichtssälen wohl erfolgreich sein.
Deshalb die (noch) falsche Überschrift über diesem Beitrag.
Service: Wie es eigentlich außerhalb Bayerns? Süddeutsche Zeitung aus dem Jahr 2016