Kleine Steinchenwerfer (der BGH ändert seine Rechtsprechung)
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
In der städtischen Kindertagesstätte war ein Wasserschaden aufgetreten. Der herbeigerufene Handwerker parkte seinen PKW im Eingangsbereich.
Im angrenzenden 20 x 25 m großen Außenbereich der Tagesstätte befanden sich zu diesem Zeitpunkt 8 Kinder, die zusammen mit einer Erzieherin Gartenarbeiten durchführten. 3 der Kinder entfernten sich und bewarfen das Fahrzeug des Handwerkers mit kleinen Kieseln, die als Ziersteine um das Gebäude der Tagesstätte lagen. Schaden des Handwerkers: 1.125,58 €.
Der Handwerker verklagte die Stadt als Betreiber der Tagesstätte - und verlor in erster Instanz. OLG und BGH gaben ihm indes recht.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war eine Aufsichtspflichtverletzung der Erzieherin nicht bewiesen. Gleichermaßen war nicht festgestellt, ob eine - unterstellte - Aufsichtspflichtverletzung der Erzieherin ursächlich für den Schaden des Klägers geworden ist. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass es den drei Kindern auch bei einer im Abstand von wenigen Minuten erfolgenden und damit hinreichenden Kontrolle durch die Zeugin hätte gelingen können, unbeobachtet Steine aufzusammeln, sich von der Gruppe für kurze Zeit zu entfernen und die Steine auf das Fahrzeug des Klägers zu werfen.
Also: Beweislastentscheidung
Gilt aber die Beweislastregel des § 832 I 2 BGB
Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde
(= der Aufsichtspflichtige muss sich exkulpieren)
auch bei der Amtshaftung nach § 839 BGB?
Der BGH meint (unter Aufage seiner früheren Rechtsprechung), ja.
Die Geltung der Beweislastregel des § 832 BGB im Bereich der Amtshaftung ist sachlich gerechtfertigt. Für eine Haftung für eine vermutete Aufsichtspflichtverletzung sprechen dort dieselben Gründe wie im Bereich der privat-rechtlichen Haftung. Es entspricht dem Wesen der Aufsichtspflicht als einer gesetzlichen Pflicht gegenüber dem Geschädigten, dass der Pflichtige Rechenschaft darüber ablegt, was er zur Erfüllung seiner Pflicht getan hat Dagegen ist dem Geschädigten der Nachweis der Aufsichtspflichtverletzung häufig nicht möglich, da er regelmäßig nicht weiß, welche konkreten Maßnahmen zur Erfüllung der Aufsichtspflicht im Einzelfall ergriffen beziehungsweise unterlassen wurden. Die sonst im Bereich der Amtshaftung bis hin zum Anscheinsbeweis geltenden Beweiserleichterungen helfen ihm insoweit nicht, da sie eine Amtspflichtverletzung - hier: eine Aufsichtspflichtverletzung - gerade voraussetzen. Vor der Beweisnot, in die er geriete, wenn er eine Aufsichtspflichtverletzung der Erzieherinnen nachzuweisen hätte, vermag ihn daher nur die Vermutung gemäß § 832 BGB zu bewahren.
Gegen eine Anwendung der Beweislastregel des § 832 BGB im Bereich der Amtshaftung können schließlich nicht die in § 839 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 BGB bestimmten gesetzlichen Haftungsprivilegien des Amtsträgers angeführt werden. Sie weisen nach Inhalt und Grund keinen Zusammenhang mit der Beweislastregel des § 832 BGB auf. Auch kann mit ihnen nicht eine generelle Haftungsprivilegierung des Amtsträgers gerechtfertigt werden unabhängig von deren Anwendungsbereich und sachlicher Berechtigung.
Nach alledem ist kein überzeugender Grund für eine unterschiedliche Ausgestaltung der Beweislast danach ersichtlich, ob die (im Übrigen inhaltsgleiche) Aufsichtspflicht dem Betreffenden als Amtspflicht oder als privatrechtliche Pflicht obliegt. Die in § 832 BGB enthaltene Beweislastregel ist gleichermaßen in beiden Konstellationen anwendbar.
BGH v. 13.12.2012 - III ZR 226/12
Da der Stadt die Exkulpation nicht gelang, muss sie den Schaden an dem PKW des Handwerkers bezahlen.