LAG München: 50.000 Euro für "Praktikantin"
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Fast 50.000 Euro Arbeitsentgelt (inkl. Steuern und nachzuzahlender Sozialversicherungsbeiträge) hat eine junge Frau beim LAG München erstritten. Vor über fünf Jahren hatte sie als 16-Jährige nach ihrem Realschulabschluss bei einem Versicherungs- und Finanzvermittler in der bayerischen Landeshauptstadt angefangen. Sie wollte Fachberaterin für Finanzdienstleistungen werden. Das Vertragsverhältnis war als "Praktikum" bezeichnet, die Frau erhielt monatlich 300 Euro - für eine 43-Stunden-Woche. Macht immerhin 1,61 Euro Stundenlohn.
Großzügig, wie ihr Chef war, sagte er im Praktikumsvertrag auch theoretischen Unterricht einmal pro Woche zu. Allzu viel Theorie hat er aber wohl nicht vermittelt: Der "Unterricht" fand in seinem Privathaus am Chiemsee statt und bestand u.a. darin, dass die Klägerin gemeinsam mit anderen Praktikanten den Rasen mähen durfte. Kaum zu überraschen vermochte angesichts dieser "Ausbildung", das sie bei der Prüfung zur Fachberaterin vor der Industrie- und Handelskammer durchfiel.
Mindestlohn statt üblicher Vergütung?
Nicht ganz überzeugend mutet allerdings die Begründung des Gerichts an, wie sie in den Presseberichten wiedergegeben wird: Die vereinbarte Vergütung sei sittenwidrig niedrig, die Vergütungsvereinbarung daher unwirksam, § 138 BGB (insoweit sicher richtig). Der Klägerin stehe aber nicht die übliche Vergütung aus § 612 Abs. 2 BGB zu, sondern nur der Mindestlohn von 8,50 Euro (§ 1 Abs. 2 MiLoG). Das überrascht schon deshalb, weil das MiLoG bekanntlich erst zum 1.1.2015 in Kraft getreten ist und daher nur für die letzten drei Monate des im März 2015 beendeten Vertragsverhältnisses trägt. Außerdem gewährt es ja nur den "Mindest"lohn und verdrängt § 612 Abs. 2 BGB nicht. Dazu richtig das BAG (Urt. vom 18.11.2015 – 5 AZR 814/14, NZA 2016, 494):
Ein Mindestlohn bezeichnet lediglich das Minimum der Vergütung, berücksichtigt aber nicht die übliche Vergütung dieser Arbeit. Doch gerade darauf zielt die Prüfung der Sittenwidrigkeit ab.
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Die Klägerin hatte daher auch nicht "nur" 50.000 Euro, sondern 77.000 Euro gefordert.
Möglicherweise hat das LAG München aber - anders als in den Presseberichten dargestellt - angenommen, dass das Rechtsverhältnis kein Arbeitsverhältnis i.S. des § 611 BGB, sondern mit Blick auf den (wenn auch infolge des Scheiterns bei der Prüfung verfehlten) Ausbildungszweck tatsächlich ein Praktikum gewesen ist. Dann ließe sich die Unanwendbarkeit des § 612 BGB und der Rückgriff auf die Praktikantenregelung des § 22 Abs. 1 S. 2 und 3 MiLoG nachvollziehen - jedenfalls für die Zeit von Januar bis März 2015. Eine amtliche Pressemitteilung habe ich leider nicht gefunden, sondern nur diverse Berichte in der Tagespresse - und die sind manchmal nicht sonderlich präzise.
Die Revision wurde zugelassen.
LAG München, Urt. vom 13.6.2016 - 3 Sa 23/16