Ruhe vor dem Sturm? Deutlich weniger Insolvenzen als im Vorjahr
Gespeichert von Tobias Fülbeck am
Ist das die berühmte Ruhe vor dem Sturm? Im ersten Halbjahr 2020 gab es 6,2 Prozent weniger gemeldete Unternehmensinsolvenzen als im 1. Halbjahr 2019.
Im August 2020 gab es nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts sogar 38,9 Prozent weniger eröffnete Regelinsolvenzverfahren als im Vorjahresmonat.
Die wirtschaftliche Not vieler Unternehmen durch die Corona-Krise spiegelt sich somit bislang nicht in einem Anstieg der gemeldeten Unternehmensinsolvenzen wider.
Der Grund dafür ist selbstverständlich das im März verkündete Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht mit einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020. Nach den Plänen der Bundesregierung soll die Aussetzung bis Ende des Jahres verlängert werden – jedoch nur für Unternehmen, die überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind.
"Die von der Regierungskoalition für die Zeit ab Oktober beschlossene teilweise Rückkehr zur Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit wird zu einem moderaten Anstieg der Insolvenzantragstellungen führen", sagt Steffen Müller vom Forschungsinstitut IWH.
Da die Antragspflicht bei Überschuldung weiter ausgesetzt bleibt und auch andere Staatshilfen weiterlaufen, sei im Herbst noch nicht mit einem vollständigen Aufholeffekt bei den Insolvenzanträgen zu rechnen. Was danach passiert? "Spätestens nach dem Auslaufen der Sonderregeln schwappt die Insolvenzwelle rein", sagte Müller kürzlich noch dem Magazin "Capital" (9/2020). Fest steht jedenfalls: Die Corona-Krise wirkt für Unternehmen, die ohnehin bereits in Schieflage sind, wie ein Brandbeschleuniger.
Insolvenzrecht-Experte Lucas F. Flöther befürwortet derweil in der aktuellen Ausgabe der "Zeitschrift für Rechtspolitik" die Pläne der Bundesregierung:
"Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht schafft keine alternativen Fakten. Pleite ist eben pleite! Mit der Scharfschaltung der Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit können Vertragspartner jedenfalls wieder darauf vertrauen, zumindest mit einem liquiden Unternehmen Geschäfte abzuschließen. Alles andere wäre ein untragbarer Zustand." (ZRP 2020, 169)
Dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Tatbestand der Überschuldung verlängert wird, hält Flöther für "vertretbar und sinnvoll" - warnt aber gleichzeitig, diese Sonderregel über den 31. Dezember hinaus zu verlängern.
"Die vom BMJV geplante Verlängerung darf (...) jedenfalls keine Ouvertüre zum Abgesang des Insolvenzgrunds der Überschuldung sein. Denn vor einer ersatzlosen Streichung dieses Tatbestands ist eindringlich zu warnen. Vielmehr muss er angepasst werden. Er stellt in der hier verstandenen Form ein wichtiges Disziplinierungsmittel dar, um Geschäftsleiter von Unternehmen anzuhalten, fortlaufend zu prüfen, dass ihr Unternehmen für einen längeren Zeitraum als drei Wochen durchfinanziert ist. Durchfinanziert ist ein Unternehmen dann, wenn es über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt, um im Betrachtungszeitraum die fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Auch baut er die Drohkulisse 'Haftung' auf, sodass Geschäftsleiter frühzeitig Sanierungsoptionen für ihr Unternehmen abwägen."