Offenkundig falsche Rechtsbehelfsbelehrung!
Gespeichert von Dr. Oliver Elzer am
Seit Anfang 2014 hat nach § 232 Satz 1 ZPO grundsätzlich jede anfechtbare gerichtliche Entscheidung eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Diese Bestimmung suggeriert, dass sich Gerichte insoweit immer sicher sind. Sie sind es nicht – und dem Gesetzgeber war das auch bewusst. Er fügte daher in § 233 Satz 2 ZPO eine Vermutung ein: Nämlich die, dass eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der versäumten Frist gehindert war, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft war. Diese Vermutung ist allerdings zu widerlegen. Es durfte erwartet werden, wie es kam: Es gibt eine reiche Rechtsprechung, wann im Einzelfall keine Wiedereinsetzung zu gewähren ist, obwohl eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft war.
Ist eine Rechtsbehelfsbelehrung falsch, soll es nach dem BGH darauf ankommen, wie falsch sie ist. Ist eine Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch, bleibt es dabei, dass keine Wiedereinsetzung gewährt wird. Ist sie hingegen nur falsch, ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Entscheidende Weichenstellung ist damit der Begriff der Offenkundigkeit. Nach dem XII. Zivilsenat ist ein Fehler bereits dann „offenkundig“, wenn Grundkenntnisse des Verfahrensrechtes und des Rechtsmittelsystems berührt sind (BGH, Beschluss vom 24.01.2018 – XII ZB 534/17; BGH, Beschluss vom 18.12.2013 – XII ZB 38/13; BGH, Beschluss vom 13.06.2012 – XII ZB 592/11). An dieser Sichtweise hat der Senat in jüngst veröffentlichten Entscheidung festgehalten (BGH, Beschluss vom 25. November 2020 – XII ZB 256/20)
Für den XII. Zivilsenat ist es mittlerweile wohl ausgemachte Sache, dass jeder Rechtsanwalt – auch der Nichtfachanwalt – die Unterteilung in Familienstreit- und Ehesachen und Familiensachen kennen und wissen muss, dass erstens in Familienstreitsachen die fristgebundene Rechtsmittelbegründung Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde und zweitens eine (Trennungs-)Unterhaltssache als Familienstreitsache einzuordnen ist. Da jedenfalls dem OLG diese Dinge nicht offenkundig waren, ein letztlich harter Maßstab. Ferner ist beispielsweise der V. Zivilsenat in WEG-Streitgkeiten tatsächlich viel milder. Man sollte und könnte daher beim BGH oder in Berlin nachsteuern. Oder?