EGMR entscheidet gegen Whistleblower
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Whistleblowing ist derzeit ein aktuelles Thema für den deutschen Gesetzgeber. Denn Ende Oktober 2019 hat die EU die „Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ verabschiedet. Die Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten muss innerhalb von zwei Jahren erfolgen. Die Richtlinie verfolgt zwei Hauptziele: Whistleblower sollen zum einen eine klar reglementierte Möglichkeit zur Meldung von Missständen haben, sei es intern gegenüber dem betreffenden Unternehmen, sei es extern gegenüber den dafür vorgesehenen Stellen. Zum anderen sollen Whistleblower vor Repressalien geschützt werden. Seit kurzem gibt es hierzu auch einen Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes aus dem Bundesministerium der Justiz für Verbraucherschutz.
Interessant ist vor diesem Hintergrund ein neues Urteil des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR Zweite Sektion, Urteil vom 16.2.2021 – 23922/19, BeckRS 2021, 1820 derzeit nur in französischer Sprache), das auf offenbar eher in eine andere Richtung geht. Es handelt sich um den Fall Gawlik, der schon seit längerem die Gerichte beschäftigt und die Medien beschäftigt. Gawlik war im Landesspital Liechtenstein – zuletzt als stellvertretender Chefarzt - angestellt. Während seiner ärztlichen Tätigkeit war er auf Hinweise gestoßen, dass mehrere Patienten nach einer Morphingabe verstorben waren. Er hatte die Vermutung, dass es sich hierbei um aktive Sterbehilfe handelte und zeigte deswegen, ohne sich zuvor intern um Klärung zu bemühen, im Jahr 2014 seinen damaligen Chef bei der zuständigen Staatsanwaltschaft an. Es kam zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Chefarzt wegen Tötung auf Verlangen. Dem "Whistleblower-Arzt" wurde daraufhin fristlos gekündigt und das Krankenhaus leitete ein Verfahren wegen mutmaßlicher falscher Verdächtigung gegen ihn ein. Sowohl das Ermittlungsverfahren gegen den Chefarzt als auch das Verfahren wegen falscher Verdächtigung gegen den "Whistleblower-Arzt" wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Der Arzt wehrte sich jedoch gegen seine Kündigung und zog dabei bis vor den EGMR. Er berief sich darauf, in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt zu sein.
Der EGMR hat die Kündigung indes für rechtmäßig erklärt. Der Arzt habe seinen Verdacht einer schweren Straftat seines Vorgesetzten direkt bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, ohne zuvor ausreichend sorgfältig zu prüfen, ob die Informationen "zutreffend und zuverlässig" waren. Angesichts der Auswirkungen auf den Ruf der Klinik und den seines Chefs sei die Entlassung gerechtfertigt gewesen. Der Eingriff in die Rechte des Arztes sei als verhältnismäßig anzusehen. Zwar habe der Arzt nicht aus unlauteren Motiven gehandelt, aber angesichts der Schwere der Vorwürfe hätte er die Fakten gründlicher prüfen müssen.
Der Anwalt des Arztes, Hopmann, spricht in einer ersten Reaktion von einem verheerenden Fehlurteil des Gerichtshofs. Die FAZ zitiert ihn mit den Worten „Wenn der Verdacht auf Tötung in einer Klinik nur unter erschwerten Bedingungen gemeldet werden darf, dann ist das eine Bedrohung für uns alle“, sagte Hopmann.