Wann ist "Liken" strafbar? Ein fragwürdiger Beschluss des LG Meiningen
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Ein Beschluss des LG Meiningen (Beschluss vom 5. August 2022 6 Qs 146/22) erregt zu Recht die Gemüter. Könnte es bald ganz vorbei sein mit dem ehemals "freien" Internet? Werden bald zehntausende Laptops und Smartphones beschlagnahmt, weil der Nutzer einen fragwürdigen Beitrag "geliked" hat?
Was ist passiert?
Aufgrund eines Facebook-Likes (Thumbs-Up), mit dem der Beschuldigte einen hetzerischen Wortbeitrag kommentiert hatte, hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Durchsuchung und ggf. Beschlagnahme von internetfähigen Geräten beantragt. Das AG hatte die Durchsuchung angeordnet und sie wurde durchgeführt, Speichermedien des Beschuldigten wurden beschlagnahmt. Das LG Meiningen hat die Beschwerde des Beschuldigten zurückgewiesen und die Durchsuchung für rechtmäßig erklärt. Der Verdacht, dass das „Liken“ eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) und eine Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) verwirkliche, sei hinreichend gewesen.
Der Beschluss
Auszüge aus dem Beschluss des LG Meiningen vom 5. August 2022 6 Qs 146/22:
Mit Beschluss vom 14.06.2022 (Az.: Gs 774/22) ordnete das Amtsgericht Meiningen, Ermittlungsrichterin, die Durchsuchung der Wohnung einschließlich Nebengelassen sowie der Person des Beschwerdeführers und der ihm gehörenden Sachen, insbesondere Kraftfahrzeuge, an. Es sei anzunehmen, dass dies zum Auffinden von Beweismitteln führen werde, namentlich von Mobiltelefonen, Handys, Smartphones oder sonstigen elektronischen Speichermedien. Für den Weigerungsfall wurde zugleich die Beschlagnahme der Gegenstände angeordnet. Gleichzeitig ordnete das Amtsgericht die Erstreckung der Durchsuchung gem. § 110 Abs. 3 Satz 2 StPO an.
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Soweit geht das Amtsgericht aufgrund der zu den Akten gelangten Beweismittel davon aus, dass der Beschwerdeführer über die Online-Plattform Facebook einen Beitrag des Nutzers „Arminius Hetzer Hermann“ öffentlich geliked - also mit einem sog. Emoji einer Faust mit nach oben gerecktem Daumen - kommentiert und sich dadurch zu Eigen gemacht habe, mit dem nach einem (zumindest deutschlandweit) Aufsehen erregendem Mord an einer 24-jährigen Polizistin und einem 29-jährigem Polizisten auf eine anberaumte Gedenkstunde wie folgt reagiert wurde: „Keine einzige Sekunde Schweigen für diese Kreaturen“.
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Der Beschluss wurde ausgeführt. Vor diesem Hintergrund wurden sodann Speichermedien beschlagnahmt.
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Die Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme erfolgte aus den in dem angefochtenen Beschluss referierten Gründen völlig zu Recht. (…)
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Aus den Beweismitteln ergibt sich in hinreichender Weise, dass der Beschuldigte den zitierten Post des „Arminius Hetzer Hermann“ mit dem Symbol [Faust mit nach oben gestrecktem Daumen, HEM] versehen hat.
Nach § 189 StGB macht sich strafbar, wer das Andenken Verstorbener „verunglimpft“. Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt oder nach den Begleitumständen besonders schwere Beleidigung, sei es in Gestalt eines Werturteils oder einer Tatsachenaussage. (…)
Der Kommentar des Nutzers „Arminius Hetzer Hermann“ erfolgte unter einem Beitrag betreffend eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des sehr öffentlichkeitswirksamen sog. Kuseler Polizistenmordes, nimmt also eine Veranstaltung in unmittelbarem Bezug, die sogar im engsten Wortsinne dem Andenken zweier konkreter Verstorbener dienen soll. Deren Bezeichnung als (bloße) Kreaturen spricht den Opfer an solchen ersichtlich die Menschenwürde ab; durch die Phrase „keine einzige Sekunde Schweigen“ wird zudem direkter Bezug auf eine in Gedenkveranstaltungen oder Trauerfeiern übliche Schweigeminute Bezug genommen, die der Totenehrung und damit schlechthin ihrem Andenken dienen. Wird insoweit zum Ausdruck gebracht, dass den Verstorbenen keine „einzige Sekunde“ (der 60 Sekunden umfassenden) Schweigeminute zuteil werden soll, stellt dies bei objektiver Würdigung die – hier in breitester Öffentlichkeit des Internets getätigte – Aufforderung dar, den (nach wie vor in ihrer Persönlichkeit konkret bezeichneten) beiden Polizisten nicht zu gedenken, ihnen nicht einmal Bruchteile der allgemein üblichen Totenehre angedeihen zu lassen. Die ist in dem genannten Kontext nur als schwere Ehrkränkung aufzufassen, zumal die Art und Weise der Verbreitung im Internet die Schutzgüter des § 189 StGB unbesehen der Frage als besonders beeinträchtigt sehen lässt, ob neben dem soweit hier nachhaltig betroffenem Pietätsgefühl der Angehörigen auch das Pietätsgefühl der Allgemeinheit geschützt werden soll (allg. Auffassung, vgl. MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 189 Rn. 4 m.w.N.).
Die Kammer verkennt nicht, dass – wie die Beschwerde wohl intendiert – die Grundsätze einer Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung nach überwiegender Ansicht auch bei § 189 StGB und insbesondere dann gelten, wenn sie sich auf eine Gruppe von Personen bezieht, deren Gemeinsamkeit sich gerade aus den Umständen ihres Versterbens ergibt (MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 189 Rn. 19 m.w.N.).
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Eine Kollektivbezeichnung („die Polizei“) ist schon der äußeren Form nach nicht ersichtlich, würde aber (was die Beschwerde verkennt) im Falle ihres Vorliegens zur Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB führen.(…)
Die Handlung, derer der Beschwerdeführer verdächtig ist, ist als sog. Liken eine hinreichende Ausrichtung bzw. Kundgabe der Befürwortung der Äußerungen des Nutzers „Aminius Hetzer Hermann“. Nach der Rspr. des BGH setzt die Gleichstellung der Wiedergabe fremder Missachtung als Äußerung eigener Missachtung voraus, dass sich der Nutzer die fremde Äußerung zu eigen macht, mithin so in den eigenen Gedankengang einfügt, dass sie insgesamt als eigene erscheint. Darin liegt auch die ureigentliche Funktion des sog. Likes auf Facebook oder vergleichbaren Medien. Unbeschadet dessen, dass die Anbringung eines solchen „Likes“, der wörtlich übersetzt jedenfalls in Mitteleuropa so viel wie „(ich) mag es“ oder „(ich) will es“ bedeutet, regelmäßig durch das Betätigen einer Schaltfläche mit den Worten „Gefällt mir“ erfolgt, ist gerade auch das Zurschaustellen dieser Befürwortung nach außen Sinn dieser Kommentarfunktion. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass öffentlichkeitswirksame Vorgänge in anderen Medien regelmäßig damit als besonders herausragend etikettiert werden, dass sie nach der Anzahl ihres „Likes“ (oder demgemäß Distanzierung bedeutende „Dislikes“) ohne weiteres und nachgerade selbsterklärend bemessen werden.
Dass eine Faust mit nach oben gerecktem Daumen Zustimmung und Gutheißung bedeutet, kann ohnehin nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Der dahinterstehende Symbolgehalt einer nonverbalen, auf Belobigung oder jedenfalls unbeschränkte Zustimmung ausgerichteten Kommunikation dürfte selbst von Rezipienten im Vorschulalter nur als solcher verstanden werden. In den modernen Medien hat er sich jedenfalls zum regelrechten Sinnbild der Befürwortung etabliert. In der auch hier in Rede stehenden Kommentarfunktion der Plattform Facebook dient diese Symbolik auch der gezieltermaßen öffentlichen Bewertung eines Beitrages, was nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck kommt, dass entsprechende Symbol-Schaltflächen vom Betreiber des Portals unter den Beiträgen als eine Art Einladung zum Kommentieren vorgehalten werden. Soweit kommt darin auch nicht nur eine gewissermaßen stille Befürwortung - etwa nur dem Verfasser gegenüber - zum Ausdruck, sondern die bewusst und für die Öffentlichkeit des Internets zum Ausdruck gebrachte Befürwortung der Inhalte. Deutlicher kann man ein Zueigenmachen kaum zum Ausdruck bringen bzw. allenfalls expressis verbis mit den Worten „Ich stimme dem zu“ - nicht anderes symbolisiert aber hier allgemeinhin das in Rede stehende sog. Emoji.
Die darin liegende Bekundung von Sympathie nach außen ist insoweit auch aus Sicht eines Dritten mit einer verbal kundgegebenen Zustimmung nach außen gleichzusetzen (siehe auch Eckel, NStZ 2021, S. 1 ff.).
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Tatverdacht besteht letztlich auch hinsichtlich § 140 StGB.
Die Tathandlung nach der dortigen Nr. 2 besteht darin, dass der Täter die Tat öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Inhalten durch eine auf eine konkrete Tat bezogene und aus sich heraus verständliche Erklärung gutheißt (Fischer, StGB, 63. Aufl. 2020, § 140 Rn. 6). Dies ist bei der gebotenen Gesamtbetrachtung anzunehmen. Tatbestandsmäßig sind auch befürwortende Äußerungen im Internet auf Webseiten, wobei auch schlüssige Erklärungen genügen (BGHSt 22, Seite 286; OLG Braunschweig NJW 1978, Seite 2045). Aus den bereits dargestellten Gründen liegt in der gegenständlichen Tathandlung ein Zueigenmachen, was – a maiore ad minus – eine Billigung einschließt. Aus dem Kontext des Posts ist bei objektiver Betrachtung zu entnehmen, dass derjenige, der den Opfern eines Tötungsdelikts i.S.v. § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB jede Würde absprechen will, auch auf den Leitartikel, dessen Kommentierung unternommen wird, Bezug nimmt und letztlich die dort dargestellte Straftat des Mordes in 2 Fällen billigt. Wer demjenigen, der durch ein Verbrechen zu Tode gekommen ist, in der dargestellten Weise jede Anerkennung und Ehrung abspricht, heißt das Verbrechen an sich gut. Bei lebensnaher Betrachtung kann die Zustimmung, den Opfern ohne weiteres ein Mindestmaß an Menschenwürde abzusprechen, nicht anders als die Billigung des Zentralgeschehens verstanden werden, auf das allein das Gedenken Bezug nimmt.
Voraussetzung ist weiter, dass die Äußerung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Bezugnahme auf die Friedensschutzklausel ermöglicht es, das weit gefasste abstrakte Gefährdungsdelikt restriktiv auszulegen (Fischer, a.a.O. Rn. 8). Angesichts einer unkontrollierten Verbreitung der Billigung über das Medium Facebook ist dies - wie auch der Verlauf der hiesigen Ermittlungen selbst zeigt - ganz offensichtlich der Fall.
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Ferner ist auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter der gebotenen Betrachtung insbesondere der Grundrechte des Beschwerdeführers hinreichend berücksichtigt worden. Eine Durchsuchung scheidet unter Bedachtnahme auf das Verhältnismäßigkeitsgebot nur aus, wenn andere, weniger einschneidende, den Ermittlungszweck nicht gefährdende Maßnahmen verfügbar sind. Solche waren und sind vorliegend nicht ersichtlich.
Die Durchsuchung steht auch in angemessenem Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftat und der Stärke des Tatverdachts (Meyer-Goßner, StPO, 68. Aufl. 2021, § 102, Rn. 15 und 15a). Die Straftaten sind ausweislich ihres Strafrahmens von bis zu 2 bzw. 3 Jahren nicht unerheblich. Bei der Strafzumessung dürften im Falle einer Verurteilung die Umstände zu berücksichtigen sein, dass die Verbreitung via Facebook und damit im Internet über einen potentiell ganz erheblich großen, ja unbeschränkten Personenkreis erfolgte.
Im Kern also: Ein öffentliches "Like" bzw. "Gefällt mir" teilt das Schicksal der Äußerung, die damit positiv bewertet wird, nämlich ebenfalls strafbar zu sein. Das soll für die Beleidigungsnormen gelten, aber auch für § 140 StGB (Billigung von Straftaten).
Inhaltlich folgt das LG Meiningen der Ansicht des Schweizer Bundesgerichts, das schon vor Jahren ein in diese Richtung gehendes Grundsatzurteil fällte. Vor knapp zwei Jahren berichtete Ronen Steinke in der Süddeutschen Zeitung, dass zumindest die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt a. M. dies ähnlich sehe: Wer sich einer strafbaren Botschaft mit "Like" anschließt, solle sich grundsätzlich ebenso strafbar machen können wie derjenige, der die Äußerung ursprünglich gepostet hat.
Was vor mind. zwei Jahren schon in diversen Medien diskutiert wurde, ist also nun Gegenstand der Entscheidung des LG Meiningen geworden.
Es stellt sich aber die Frage, inwieweit ein solches Vorgehen geeignet ist, die Meinungsfreiheit in den Sozialen Medien über Gebühr einzuschränken. Ist es tatsächlich verhältnismäßig, Menschen wegen eines (möglicherweise spontanen) Klicks auf den „Like“ oder „Gefällt mir“-Button strafrechtlich zu verfolgen? Oder geht damit die Repression, gar die Meinungsunterdrückung zu weit?
Ein Rückblick zur Einordnung:
Diejenigen sozialen Medien, die bekannt sind für politisch gefärbte Diskussionen, vor allem zunächst Facebook, aber etwas später auch Twitter und Telegram, ermöglichen es jeder Person ohne größeren Aufwand ungefiltert und anonym Meinungen mit großer Reichweite zu äußern, zu verbreiten bzw. die von anderen sich zu Eigen zu machen. Dies geschah zunächst über längere Zeit staatlich (fast) unkontrolliert, so dass sich die Ansicht festigte, das Internet sei – zumindest was bloße verbale Äußerungen angeht – nahezu „rechtsfrei“. Maßgebliche Politiker taten sich lange schwer mit dem „Neuland“ Internet.
Die ersten effektiven Einschränkungen der Internetkommunikation betrafen dann – neben der Verbreitung von Kinderpornografie – primär Störungen der wirtschaftlichen Ordnung. Das materielle Schädigungspotential von Aktivitäten im Netz, insbes. durch Betrügereien beim Online-Handel und Urheberrechtsverletzungen durch unbefugtes Kopieren und Verbreiten von Musikstücken, Filmen und Software wurde zunehmend Gegenstand staatlicher Kontrolle. Die bloße Meinungs-Kommunikation blieb hingegen noch längere Zeit weitgehend frei von staatlicher Kontrolle und Repression.
Es wurden vor allem die positiven Seiten dieser freien Kommunikation in den Vordergrund gestellt: Noch nie zuvor war es so leicht für jeden Einzelnen, seine politische Haltung zu äußern und vielen Menschen zugänglich zu machen und damit ohne größeren Kostenaufwand und ohne Filterung durch Redaktionen am großen Markt der Meinungen mitzuwirken. Das Netz ermöglichte eine Demokratisierungswelle, die es bisher nicht gegeben hatte. Vor allem der „arabische Frühling“ weckte den Eindruck, soziale Medien könnten sogar wesentlich zur Aufhebung von diktatorischer Unterdrückung und damit zur Demokratisierung bisher undemokratischer Systeme beitragen.
Das hat wohl den Eindruck verfestigt, das Netz sei insofern ein Hort der Freiheit des Wortes – es könne einem wenig passieren, man könne hier nicht nur höchst umstrittene, sondern auch tabuisierte Botschaften verbreiten, ohne dass dem jemand effektiv entgegentreten könne und wolle. Praktisch das gesamte Äußerungsstrafrecht (etwa §§ 86 ff., 126, 130, 140, 185 ff. StGB) habe hier keine oder kaum effektive Geltung. Das liegt auch daran, dass die international agierenden Plattformen ihre eigenen diesbezüglichen Richtlinien lange Zeit nur wenig effektiv durchsetzten und zugleich eine Berücksichtigung der sich national stark unterscheidenden strafrechtlichen Grenzen schwierig bis unmöglich erschien.
Das änderte sich – jedenfalls in Deutschland – im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass verbale Botschaften nicht nur im digitalen Raum verblieben, sondern mittelbar und unmittelbar Einfluss nahmen auf die Realität außerhalb des Netzes. Fast alle bekannten Anschläge, seien es islamistische, seien es rassistische oder antisemitisch motivierte Verbrechen oder Angriffe auf Prominente und Politiker, nahmen ihren motivatorischen Ausgangspunkt im Netz. Die jeweiligen Täter haben sich nicht nur im Netz selbst radikalisiert, sondern legten es auch darauf an, ihre Taten im Netz zu verbreiten und damit Zustimmung, wenn nicht gar Nachfolger zu finden. Die Verknüpfung von verbalen Botschaften im Netz und realen Taten war es wohl, die die Gesellschaft und damit auch die Strafjustiz auf den Plan rief. Der Ruf nach Bekämpfung von „Hass“ im Netz verstärkte sich in den letzten Jahren, auch wenn Viele (zu Recht) vor den negativen Folgen einer staatlichen Repression warnten: Letztlich werde die Grenzziehung zwischen noch zu duldender Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit und strafrechtlich zu verfolgender „Hassbotschaften“ damit den Strafverfolgungsbehörden überlassen statt dem gesellschaftlichen Diskurs. Dies lade auch ein zur Überdehnung bzw. zum Missbrauch der Verfahrenskompetenzen bis hin zu abschreckenden Ermittlungsmaßnahmen, die sogar einschränkender wirken können als eine Strafe.
Meine Kritik an der konkreten Entscheidung möchte ich vor diesem Hintergrund an vier Aspekten konkretisieren:
1. Der ursprüngliche Beitrag als „Billigung von Straftaten“ i.S.d. § 140 StGB?
Die Interpretation des LG, es handele sich bei dem Beitrag um einen Verstoß gegen § 189 StGB, ist plausibel. Aber dass auch § 140 StGB verletzt sein soll, erscheint mir weniger überzeugend begründet. Schon, dass in der Weigerung, sich dem Gedenken an die Opfer anzuschließen, tatsächlich zugleich die Billigung der vorsätzlichen Tötung zu sehen ist, ist eine fragwürdige, nämlich die Aussage überdehnende, Interpretation. Wer, etwa aus Hass auf Polizisten im Allgemeinen oder auf die betroffenen Personen im Besonderen, deren Totengedenken missachtet, billigt damit nicht notwendig die Straftat, die zu ihrem Tod führte. Nach h.M. muss das „Billigen“ restriktiv ausgelegt werden und erfasst deshalb nur ausdrückliche Zustimmung zu einer Straftat selbst, nicht etwa – wie hier – die indirekte Billigung des Ergebnisses einer Straftat durch Missachtung des Totengedenkens.
Das Gericht hat zudem die Bedeutung des einschränkenden Tatbestandsmerkmals "Eignung zur öffentlichen Friedensstörung" nicht hinreichend erfasst, wenn diese Eignung lediglich aus dem Umstand hergeleitet wird, es handele sich um einen öffentlichen Facebook-Beitrag (bzw. dessen Like).
2. Like-Button als „Zu-Eigen-Machen“?
Das Gericht meint, deutlicher als mit dem Like-Button könne man das vom BGH geforderte "Zu-Eigen-Machen" nicht ausdrücken. Dies ist aber schon faktisch unrichtig: Denn Facebook wie auch andere Plattformen sozialer Medien kennen neben dem Like (Daumen, Herz oder Stern) auch noch das „Teilen“ (Retweeten) eines Beitrags. Dies ist ein deutlicheres Zu-Eigen-Machen, zumal damit der Beitrag von einer neuen Quelle als Ausgangspunkt noch einmal direkt verbreitet wird. Das Like hat insofern keine besonders herausgehobene Bedeutung oder Wirkung. Erst wenn ungewöhnlich viele Likes unter einem Beitrag auftauchen, wird dies überhaupt besonders wahrgenommen.
Im Übrigen hat ein Like entgegen der Interpretation des Gerichts auch weitere Deutungsmöglichkeiten, die vom Gericht nicht berücksichtigt werden. So wird es von manchen Benutzern als einfache Archivierungsfunktion verstanden, soweit die Beiträge, die so markiert werden, an anderer Stelle für die eigene (Nach-)Betrachtung aufgelistet werden. Zum anderen ist – bei komplexeren Beiträgen, die neben strafrechtlich bedeutsamen auch unproblematische enthalten sind – unklar, ob jede einzelne Äußerung darin mit einem Like versehen wird oder nur ein ggf. leicht übergewichtiger Teil der gesamten Aussage. So eindeutig, wie es hier das LG Meiningen sieht, ist die Subsumtion des Like unter „Zu-Eigen-Machen“ jedenfalls nicht. Abgesehen davon, versteht das Gericht in seiner Begründung offenbar „Befürwortung“ und „Zu-Eigen-Machen“ synonym, obwohl letzteres eine täterschaftliche, ersteres allenfalls eine fördernde (solidarisierende) Funktion erfüllt.
3. Meinungsäußerungsfreiheit und Verfahrensrecht
Für die Klärung, ob das "liken" einer strafbaren Äußerung selbst strafrechtlich bedeutsam ist, ist das Strafverfahren denkbar ungeeignet. Wenn es nach dem LG Meiningen ginge, würde die (eindeutig) strafbare Aussage eines Beitrags die (eindeutige) Strafbarkeit auch aller Likes unter diesem Beitrag nach sich ziehen, zumindest in Form eines Tatverdachts, der für eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Kommunikations- und Speichermedien und die damit verbundenen schweren Eingriffe in die Privatsphäre genügt. Aus einem Ermittlungsverfahren wegen eines Beitrags können so schnell, je nach Anzahl der Likes, zehn oder gar hunderte Ermittlungsverfahren mit entsprechenden Durchsuchungsmaßnahmen und Sicherstellungen werden.
Wegen der enormen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für den demokratischen Rechtssaat müsste aber vor einer solchen schwerwiegenden Ermittlungsmaßnahme, die für den (möglichen) Täter günstigste Interpretationsvariante herangezogen werden und nicht, wie es der Logik des Ermittlungsverfahrens entspricht, die Verdächtigung und damit eine auch nur „möglicherweise“ strafbare Interpretation ausreichen. Die Frage, ob hinreichender Tatverdacht für Ermittlungsmaßnahmen besteht (im Falle der Durchsuchung genügt nach h.M. sogar weniger als ein Anfangsverdacht) wird in der Tendenz dazu führen, dass auch nur „möglicherweise“ strafbare Interpretationsmöglichkeiten der Äußerung in den Vordergrund gestellt werden. Das bietet – auch abgesehen vom vorliegenden Fall – große Missbrauchsmöglichkeiten und entsprechende Gefahren für die Meinungsäußerung in sozialen Medien, insbesondere wenn jegliches „Like“ ohne weitere Prüfung als „Zu-Eigen-Machen“ interpretiert wird.
4. Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Gerichts fällt unterkomplex aus. Die Durchsuchung und Beschlagnahme aufgrund eines bloßen Klicks auf einen Button in der Social Media-Plattform ist aus meiner Sicht kaum verhältnismäßig. Hier stand eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Kommunikationsgeräten wie Smartphone und Laptop zur Debatte, beide heute für die alltägliche Kommunikation äußerst wichtige Geräte. Eine Beschlagnahme und Sicherstellung auch nur für wenige Tage bedeutet, dass der Nutzer von der alltäglichen Kommunikation (einschl. derjenigen mit Behörden, mit seiner Online-Bank, mit seiner Arbeitsstelle (nicht nur im Home Office), mit Familenangehöreigen etc.) ad hoc ausgeschlossen wird. Die durchschnittliche tägliche Benutzung eiens internetfähigen Kommunikationsgeräts beträgt mittlerweile mehrere Stunden, darunter sind auch viele Aktivitäten, die kaum mehr auf andere Weise durchgeführt werden können. Eine (sofortige) kostspielige Neubeschaffung durch Betroffene ist deshalb in vielen Fällen kaum zu umgehen. Auf der Gegenseite wäre nicht nur die potentielle Maximal-Strafdrohung zu beachten, sondern auch zu berücksichtigen, dass das Liken von problematischen Beiträgen in sozialen Medien ein Massenphänomen ist, dessen Bewältigung den Strafverfolgungsbehörden flächendeckend schon aus Kapazitätsgründen kaum möglich ist. Die Verfolgung einzelner Likes mit schwerwiegenden Ermittlungseingriffen wird daher oft an Willkür grenzen.
Ein Fazit:
Das Netz ist kein rechtsfreier Raum. Auch die Verfolgung von Äußerungs-Straftaten ist legitim, zumal der Radikalisierungszusammenhang von bloßen „Hass“-Botschaften und real schädigenden Akten durchaus erkennbar ist. Allerdings muss auch hier – und zwar VOR schwer eingreifenden Ermittlungsmaßnahmen – eine kritische Prüfung der jeweiligen Äußerung erfolgen, die sich an der Rechtsprechung des BVerfG orientiert und nicht am Maßstab bloßen „Verdachts“. Wird dies nicht beachtet, wird die Strafverfolgung immer wieder in Gefahr geraten, zulässige Meinungen zu unterdrücken, selbst wenn am Ende keine Verurteilung erfolgen sollte.
Das oben Gesagte gilt schon für einzelne Beiträge in sozialen Medien, aber noch viel mehr für das bloße Klicken eines Like-Buttons. Ganz regelmäßig wird man nicht davon ausgehen können, dass das Anklicken eines solchen Buttons schon ein Zu-Eigen-Machen darstellt.