SCHÖN; FALSCH; UNANFECHTBAR
Gespeichert von Carsten Krumm am
Das AG Büdingen hat aus Sicht eines Autofahrers, wie ich es auch bin, eine tolle Entscheidung erlassen, die tatsächliche oder vermeintliche Denunzianten in die Schranken verweist: Nach privaten Anzeigen gegen Falschparker soll es keine Halterhaftung nach § 25a StVG geben. Klasse! Und der entsprechende Beschluss des AG ist unanfechtbar. Das ist noch besser! Aber leider ist die Entscheidung wohl falsch, worauf der von mir sehr geschätzte RiKG Sandherr zutreffend in der aktuellen NZV-Februarausgabe hinweist. Ist aber für die Anwaltschaft unter den Leser*innen nicht so schlimm. Die wird jubeln.
Der Kostenbescheid des Regierungspräsidiums K. vom 23.02.2023 (351.120828.8) wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
I.
Auf der Homepage der Gemeinde … befindet sich u.a. folgender Hinweis:
„Jeder Bürger ist berechtigt, Verkehrsordnungswidrigkeiten anzuzeigen.
Hierfür verwenden Sie bitte den Vordruck „Verkehrsordnungswidrigkeitsanzeige“. Diesen können Sie ausdrucken und vollständig ausgefüllt beim Ordnungsamt der Gemeinde … einreichen.
Sie sollten jedoch von dieser Möglichkeit nur mit dem richtigen Maß Gebrauch machen. Oftmals ist ein klärendes Gespräch besser, als eine Anzeige.
Bedenken Sie bei einer Anzeige auch, dass Sie gegebenenfalls vor Gericht als Zeuge aussagen müssen. Daher ist es wichtig, dass Ihre Angaben der Wahrheit entsprechen. Haben Sie von einem Sachverhalt nur gehört oder wurde er Ihnen nur erzählt, sehen Sie bitte von einer Anzeige ab.“
Am 04.11.20.. ging ein solcher, ausgefüllter Vordruck eines Bürgers mit einer Verkehrsordnungswidrigkeitsanzeige bezüglich eines Parkverstoßes bei der Gemeinde … ein, wobei ein Bild beigefügt war. Auf diesem ist zu erkennen, dass ein Fahrzeug auf einem Grundstück steht und die Vorderreifen über den Bordstein hinaus in den Seitenstreifen der Straße ragen.
Aufgrund dessen wurde die Betroffene mit „Zeugenfragebogen“ des Regierungspräsidiums K. vom 08.12.20.. informiert, dass ihr Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … am 03.01.20.. um 09:40 Uhr in …, in der … verbotswidrig auf dem Gehweg geparkt gewesen sei, wodurch andere behindert worden seien (§§ 12 IV, 1 II, 49 StVO; § 24 I, III Nr. 5 StVG; Nr. 52a BKat; § 19 OWiG). Gleichzeitig wurde die Betroffene aufgefordert, die verantwortliche Person für den Parkverstoß zu benennen. Das Schreiben erhielt auch den Hinweis auf die möglicherweise drohende Kostenhaftung des Fahrzeughalters gemäß § 25a StVG, wenn der Fahrzeugführer nicht vor Eintritt der Verjährung ermittelt werden kann. Es folgte noch Schriftverkehr, wobei die Betroffene Beweismittel anforderte aber die verantwortliche Person nicht benannte.
Mit Bescheid des Regierungspräsidiums K. vom 13.02.2023 wurde das Verfahren wegen des Halt- bzw. Parkverstoßes eingestellt und der Betroffenen als Halterin des Fahrzeugs die Kosten des Verfahrens (insgesamt 23,50 €) auferlegt.
Gegen diesen, der Betroffenen am 01.03.2023 zugestellten, Bescheid hat die Betroffene mit am 15.03.2023 eingegangenen Schreiben sinngemäß Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Begründet wurde dies damit, dass eine Anhörung nicht bereits vor Abgabe an das Regierungspräsidium erfolgt sei. Der Fahrer sei nicht benannt worden, da sich der Widerspruch gegen den Vorwurf an sich gerichtet habe. Bei der Kontrolle vor Ort hätten die Personalien festgestellt werden können.
Das Regierungspräsidium hat dem Antrag nicht abgeholfen und die Sache dem zuständigen Amtsgericht vorgelegt.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet.
Die Voraussetzungen des § 25 a StVG liegen im Ergebnis nicht vor. Die Verwaltungsbehörde durfte der Betroffenen als Halter des Fahrzeugs vorliegend die Kosten für den Verwaltungsaufwand nicht auferlegen. Voraussetzung hierfür wäre unter anderem, dass objektiv ein Halt- oder Parkverstoß festgestellt worden ist. Vorliegend wurde ein solcher Verstoß nicht von einem Gemeindebediensteten, sondern lediglich von einer Privatperson angezeigt, was nicht ausreichend ist.
Zu der Frage, ob die durch einen Privaten durchgeführte Verkehrsüberwachung eine ausreichende Grundlage für den Erlass eines Kostenbescheides nach § 25a StVG darstellt, sind – soweit ersichtlich – nur vereinzelt Entscheidungen ergangen. Das Amtsgericht Düsseldorf (NZV 1999, S. 142 f.) hat dies ausdrücklich verneint. Diese Einschätzung wird in der Kommentarliteratur geteilt (vgl. Hadamitzky, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 25a StVG Rn. 20).
Das Amtsgericht Gelnhausen (Beschluss vom 08.05.2012 – 44 OWi 14/12 –, BeckRS 2013, 1537) hat ebenfalls eine Privatanzeige als ausreichende Grundlage für den Erlass eines Kostenbescheides verneint und hierzu wörtlich ausgeführt:
„Dagegen spricht, dass zunächst durch die private Verkehrsüberwachung und Anzeigenerstattung -anders als bei Einsatz von Beamten keinerlei Kosten bei der Behörde anfallen und die Behörde selbst nach Eingang der Anzeige bzw. nach Anhörung des Betroffenen entscheiden kann, ob sie ein kostenverursachendes Verfahren (weiter-)betreibt. Erforderlich ist im Übrigen bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten die konkrete Feststellung, welche Qualität der jeweilige Parkverstoß erreicht und ob unter Berücksichtigung des Opportunitätsprinzips eine Verfolgung des Parkverstoßes nach Ermessensausübung des jeweiligen Beamten bzw. der Ordnungsbehörde erfolgt. Dies ist bei einer privaten Verkehrsüberwachung bzw. Anzeigenerstattung durch einen Anwohner nicht gewährleistet, selbst wenn Lichtbilder vorliegen, welche den Parkverstoß zeigen. Zu beachten ist weiterhin, dass eine gerichtliche Entscheidung hinsichtlich eines Kostenbescheides in der Regel ohne mündliche Verhandlung ergeht. Das Gericht ist deshalb in besonderem Maße auf die Angaben in der Akte angewiesen, eine Zeugenvernehmung findet nicht statt. Anzeigen von Polizei- oder Ordnungsbehördenbeamten sind regelmäßig nachvollziehbar gefertigt und aufgrund der dienstlichen Tätigkeit des Anzeigenden, kann in der Regel festgestellt werden, ob ein bzw. welcher Ordnungswidrigkeitstatbestand objektiv verwirklicht wurde, was Voraussetzung für den Erlass eines Kostenbescheides ist (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. § 25a Rn. 5). Auch wenn es keinen Grundsatz gibt, wonach die Angaben eines solchen Beamten stets als zutreffend zu berücksichtigen sind, so bieten sie in der Regel eine verlässliche Grundlage. Bei Anzeigen durch Privatpersonen hat die Behörde regelmäßig weder Kenntnisse um die Glaubhaftigkeit der Angaben und die Glaubwürdigkeit der Person zu beurteilen noch über die Motivation für die Anzeige, die nicht aufgrund dienstlicher Tätigkeit gefertigt wurde. Deshalb ist eine durch eine Privatperson durchgeführte Verkehrsüberwachung, sei es auch ein Einzelfall, keine ausreichende Grundlage für den Erlass eines Kostenbescheides nach § 25a StVG. Sollten sich Verstöße häufen, bleibt es den Behörden unbenommen, die hierfür zuständigen Bediensteten vor Ort einzusetzen.“
Dieser Begründung wird gefolgt, zumal sich in den letzten Jahren eine äußerst kritische Entwicklung gezeigt hat. So rufen Privatpersonen, Firmen oder Interessengruppen über Internetseiten oder Apps teilweise ausdrücklich die Bevölkerung dazu auf, jegliche Parkverstöße anzuzeigen (vgl. die Apps „weg.li“, „Wegegeld“, „falschparkermelden.de“ und „Wiado“). Auch informieren viele Städte und Gemeinden auf ihren Webseiten nicht nur über die Möglichkeit, Parkverstöße zur Anzeige zu bringen, sondern sie stellen hierfür Onlineverfahren bzw. Formulare bereit, die die Anzeigenerstattung erheblich erleichtern. All dies führt dazu, dass die Anzahl der Anzeigen von Halt- und Parkverstöße erheblich zugenommen hat (vgl. Hamburger Abendblatt vom 03.08.2021, https://www.abendblatt.de/hamburg/article232949313/warum-mehr-privatleut...).
Zwar ist der Gemeinde …, die ein vorbereitetes Anzeigenformular auf ihrer Homepage zur Verfügung stellt, zuzugestehen, dass sie gleichzeitig ausdrücklich darauf hinweist, dass man von der Möglichkeit der Anzeige nur maßvoll Gebrauch machen soll und dass direkte Gespräche vorzuziehen seien. Dies ändert jedoch nichts daran, dass durch Apps, Onlineangebote und vorbereiteten Formulare insgesamt ein Klima des gegenseitigen Überwachens und Verpetzens zu befürchten ist. Dieses würde noch weiter gefördert, wenn man auf Grundlage solcher Anzeigen nicht nur den Erlass von Bußgeldbescheiden (falls die verantwortliche Person feststeht), sondern auch den Erlass von Halterkostenbescheiden nach § 25a StVG für möglich erachtet.
Ein weiteres gewichtiges Argument gegen die Anwendung des § 25a StVG in diesen Fällen ist, dass den Behörden aufgrund der Privatanzeigen, insbesondere, wenn diese mit den zur Verfügung gestellten Onlineformularen gefertigt werden, keine nennenswerten Kosten entstehen. So werden lediglich wenige Daten in das System übernommen und ein automatisiertes Anhörungsschreiben produziert, dass regelmäßig mittels einfacher Post verschickt wird. Bei der herkömmlichen Verkehrsüberwachung durch eigene Bedienstete fallen hingegen zusätzlich die Personalkosten sowie Personalnebenkosten an, die aufgrund der Außendiensttätigkeit entstehen. Dies spricht ebenfalls für eine Auslegung des § 25a StVG dahin, dass die Kosten des Verfahrens dem Halter nur bei tatsächlicher hoheitlicher Überwachung auferlegt werden können.
Im Übrigen sollte auch der Gefahr begegnet werden, dass wirtschaftliche Interessen im Zusammenhang mit der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten in den Vordergrund treten könnten. So dürften nicht nur die Betreiber der Apps vor allem wirtschaftliche Interessen haben, sondern auch für Behörden dürfte es äußerst lukrativ sein, wenn vermehrt Privatanzeigen eingehen, die bei Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrzeugführers in Halterkostenbescheiden münden.
Zwar mag es durchaus so sein, dass die Rücksichtslosigkeit und auch die Anzahl der tatsächlichen Halt- und Parkverstöße in den letzten Jahren, mit Ausnahme der Zeit während der „Corona-Maßnahmen“, zugenommen haben. Es bleibt den Behörden aber unbenommen, insbesondere bei gravierenden oder wiederholten Verstößen, durch vermehrten und gezielten Einsatz von Bediensteten im Außendienst einzuschreiten. Diese können vor Ort entscheiden, ob tatsächlich ein Verfahren einzuleiten ist oder eine Ansprache des Fahrzeugführers ausreicht. Im vorliegenden Fall enthält die Anzeige als Tatzeit lediglich die Angabe „09:40 Uhr“. Wie lange das Fahrzeug so gestanden hat und ob der Fahrer sich nicht in unmittelbarer Nähe des Fahrzeugs befunden hat, wie die Betroffene vorgetragen hat, ist unklar. So erscheint es durchaus denkbar, dass bei Anwesenheit eines Ordnungspolizeibeamten vor Ort aufgrund der möglichen Geringfügigkeit des Verstoßes kein Bußgeldverfahren eingeleitet worden wäre. Die schematische Kostenauferlegung im Rahmen des § 25a StVG aufgrund einer Anzeige einer Privatperson wird dem hingegen nicht gerecht.
Wenn die verantwortliche Person (Fahrer) festgestellt ist, ist hingegen der Erlass eines Bußgeldbescheides aufgrund einer Privatanzeige nicht ausgeschlossen. Falls der Betroffene Einspruch einlegt, kann dieser ebenso wie der anzeigende Zeuge in der Hauptverhandlung gehört werden.
Die Entscheidung ist gemäß § 25 a Abs. 3 S. 3 StVG unanfechtbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.
AG Büdingen Beschl. v. 16.5.2023 – 60 OWi 46/23, BeckRS 2023, 16678