Fristlose Kündigung wegen Verwendung einer Essensmarke für Dritte?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Blogleser Mario Wertz aus Reutlingen hat mich auf einen neuen interessanten Fall der Kündigung wegen eines Bagatelldelikts aufmerksam gemacht:
Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um den Sportartikelhersteller Erima. Sie betreibt eine Werkskantine, in der die Beschäftigten preisgünstig Mittagessen können. Aus steuerlichen Gründen bekommt jeder Arbeitnehmer am Monatsende mit der Gehaltsabrechnung eine bestimmte Zahl von Essensmarken, die bereits seinen Namen tragen. Einlösen können die Mitarbeiter jeweils eine pro Tag, dazu müssen sie diese gegenzeichnen und mit dem Datum versehen. Ausdrücklich ist auf der Marke vermerkt, dass sie nicht übertragbar ist. Ein 35-jähriger Arbeitnehmer, der in dem Unternehmen einen Millionenetat verwaltet, hatte sich von einem Kollegen dessen Essensmarke geben lassen und damit seine Freundin, die nicht bei Erima arbeitet, zum Essen eingeladen. Der Kollege hatte die ordnungsgemäße Verwendung der Marke noch unterzeichnet und war dann nach Hause gegangen.
Die Arbeitgeberin nahm diesen Vorfall zum Anlass für eine fristlose Kündigung. Der Betriebsrat hat zugestimmt. Der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Reutlingen blieb erfolglos. Die örtliche Presse (Reutlinger Generalanzeiger, tagblatt, Stuttgarter Nachrichten) hat ausführlich über den Fall berichtet.
Die Problematik wird wieder einmal deutlich: Vordergründig geht es um eine Essensmarke im Wert von 80 Cent. Deren fehlerhafte Verwendung würde wohl jedermann als Bagatelle ansehen und man darf vermuten, dass auch Erima keinem Mitarbeiter, mit dessen Leistungen man rundum zufrieden ist, wegen einer solchen Kleinigkeit kündigt. Denn allein die Kosten für die Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes dürften den Wert der Marke um das Hundertfache übersteigen. Rechtlich argumentiert die Arbeitgeberin natürlich mit dem Vertrauensverlust ("Wenn er schon wegen 80 Cent schummelt, wer weiß, ob er sich dann nicht noch mehr auf Kosten des Unternehmens bereichert?"). Tatsächlich dürfte der Grund für die Kündigung ein ganz anderer sein. Nur "reicht" dieser entweder rechtlich nicht, kann nicht zuverlässig oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand bewiesen werden oder seine Publikmachung würde größeren Schaden anrichten.
Vielleicht sollte die Häufung solcher Fälle in der letzten Zeit Anlass geben, einmal über ein ehrlicheres Kündigungsrecht nachzudenken. Auf der einen Seite ist es angesichts der materiell-rechtlichen Voraussetzungen und der Anforderungen an ihren Nachweis nahezu unmöglich, Arbeitnehmer allein wegen schwacher Leistungen zu entlassen. Auf der anderen Seite sollen selbst kleinste Pflichtverletzungen die fristlose Kündigung begründen können.