Das "besondere öffentliche Interesse" an einer Strafverfolgung des ehemaligen Ministers zu Guttenberg
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der frühere Bundesverteidigungsminister und frühere Dr. iur. zu Guttenberg ist in dieser Woche erneut negativ in die Schlagzeilen geraten. Er ließ seinen Anwalt einer Veröffentlichung des Berichts der Universität Bayreuth widersprechen und zugleich gegen eine (angebliche) Vorverurteilung Stellung beziehen. Mit diesem Manöver hat er allenfalls erreicht, dass sich die Öffentlcihkeit, die zwischenzeitlich von brennenderen Themen vom "Fall" zu Guttenbergs abgelenkt worden war, nun erneut dessen Doktorarbeit zuwendet. Sogar Bundeskanzlerin Merkel sah sich veranlasst, den Herrn an seine Zusage zu erinnern, die Aufklärung voranzutreiben. Man kann das Ungeschick des ehemaligen Politikers wohl nur mit einer gewissen Vernebelung seiner Realitätswahrnehmung erklären.
Eine andere - strafrechtliche - Frage ist, ob es ein "besonderes öffentliches Interesse" an einer Strafverfolgung zu Guttenbergs gibt. Und diese Frage erscheint mir der Diskussion wert, wobei ich gleich freimütig einräume, noch nicht zu einem endgültigen Schluss gekommen zu sein.
Das besondere öffentliche Interesse ist nach § 109 UrhG erforderlich, sofern, wie es hier offenbar der Fall ist, keiner der Plagiierten Strafantrag gegen zu Guttenberg gestellt hat.
Die Tatsache, dass die Plagiatsaffäre immerhin einige Wochen lang die Nachrichtenlage in ganz Deutschalnd mitbeherrschte, scheint aus nichtjuristischer Sicht zunächst unproblematisch eine bejahende Antwort zu ermöglichen. Jedoch ist die Sache etwas komplizierter.
RiStBV Nr.86 Abs.2 Satz 1:
Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben.
Speziell auf Urherberrechtsverletzungen bezogen:
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Öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums (§ 142 Abs. 1 des Patentgesetzes, § 25 Abs. 1 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 Abs. 1 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 Abs. 1 des Sortenschutzgesetzes, § 143 Abs. 1, § 143a und § 144 Abs. 1 und 2 des Markengesetzes, § 51 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 des Geschmacksmustergesetzes, §§ 106 bis 108 und § 108b des Urheberrechtsgesetzes und § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photografie) wird in der Regel zu bejahen sein, wenn eine nicht nur geringfügige Schutzrechtsverletzung vorliegt. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere das Ausmaß der Schutzrechtsverletzung, der eingetretene oder drohende wirtschaftliche Schaden und die vom Täter erstrebte Bereicherung.
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Besonderes öffentliches Interesse
an der StrafverfolgungEin besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§ 142 Abs. 4 des Patentgesetzes, § 25 Abs. 4 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 Abs. 4 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 Abs. 4 des Sortenschutzgesetzes, § 143 Abs. 4 des Markengesetzes, §§ 51 Abs. 4, 65 Abs. 2 des Geschmacksmustergesetzes, § 109 des Urheberrechtsgesetzes) wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, ein erheblicher Schaden droht oder eingetreten ist, die Tat den Verletzten in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht oder die öffentliche Sicherheit oder die Gesundheit der Verbraucher gefährdet.
Nach diesen Richtlinien, die allerdings keine Gesetzeskraft haben, wären die Voraussetzungen eines "besonderen öffentlichen Interesses" wohl kaum erfüllt. Auch nach Blick in die Kommentare kann festgestellt werden, dass das "besondere öffentliche Interesse" bislang vornehmlich bejaht wurde, wenn eine gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzung vorlag bzw. ein hoher (wirtschaftlicher) Schaden angerichtet wurde (vgl. MüKo-Heinrich § 109 UrhG Rn. 9).
Aber in diesem Fall geht es wohl um eine "Besonderheit" in anderer Beziehung, Präzedenzfälle gibt es hier kaum - allerdings hat die StA Göttingen im Fall Kasper das öffentliche Interesse bejaht (siehe hier - einem Blogleser danke ich für den Hinweis) . Einen Prominenz-Malus darf es hier ebenso wenig geben wie einen Prominenz-Bonus. Nicht ganz überzeugt bin ich, ob man für ein besonderes öffentliches Interesse ins Feld führen kann, dass dieser Mann sich in absehbarer Zeit möglicherweise wieder um Wählergunst für höchste politische Ämter bewerben will. Man könnte anführen, die Öffentlichkeit sei deshalb interessiert an einer Strafverfolgung, weil nur dadurch im Strengbeweisverfahren geklärt werden könne, ob der des Plagiats überführte Politiker vorsätzlich gehandelt hat.
Zudem ist die Wissenschaft, hier die Rechtswissenschaft der Universität Bayreuth, in einen zweifelhaften Ruf geraten und damit immateriell mittelschwer "beschädigt" worden. Allerdings liegt die "Reinheit der wissenschaftlichen Forschung" wohl nicht bzw. nur ganz am Rande des Schutzzwecks der Norm. Am ehesten wird man noch die generalpräventive Wirkung anführen können, die eine Strafverfolgung mit sich brächte bzw. - das Gegenteil davon, wenn dieser eklatante Fall eines (untechnisch gesprochen) "Wissenschaftsbetrugs" ohne Strafverfolgung bliebe.
Früherer Blogbeitrag mit Diskussion - hier.