Erstes BAG-Urteil zum Mindestlohn
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Das BAG (Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 – PM 24/16) hat sich erstmals mit dem am 1. Januar 2015 in Kraft getretenen Mindestlohngesetz beschäftigt und eine praxisrelevante Grundsatzfrage entschieden. Konkret ging es um die Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde.
Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar: Die Klägerin arbeitet Vollzeit in einer Klinik-Cafeteria (einer Tochterfirma des Städtischen Klinikums in Brandenburg an der Havel) und verdiente bis Anfang vergangenen Jahres - also vor der Einführung des Mindestlohns - 8,03 Euro in der Stunde. Zudem ist im Arbeitsvertrag festgelegt, dass ihr jeweils ein halbes Monatsgehalt Weihnachts- und Urlaubsgeld im Jahr zusteht, insgesamt also ein ganzes Monatsgehalt. Um von Januar 2015 an zumindest rechnerisch auf den seitdem gesetzlich geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro zu kommen, legte der Arbeitgeber Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusammen und zahlte jeden Monat ein Zwölftel davon aus. Dies wurde in einer Betriebsvereinbarung festgelegt. Damit stieg der Stundenlohn der Klägerin rechnerisch auf 8,69 Euro die Stunde. Die Klägerin hatte geltend gemacht, ihr Monatsgehalt und die Jahressonderzahlungen müssten ebenso wie die vertraglich zugesagten Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns iHv. 8,50 Euro brutto/Stunde geleistet werden. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin Nachtarbeitszuschläge iHv. 0,80 Euro brutto zugesprochen und im Übrigen die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin ist beim BAG erfolglos geblieben.
Das BAG stellt klar, dass der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde schuldet. Er erfülle den Anspruch durch die im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis als Gegenleistung für Arbeit erbrachten Entgeltzahlungen, soweit diese dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben. Die Erfüllungswirkung fehle nur solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (zB § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen. Die Klägerin habe aufgrund des Mindestlohngesetzes keinen Anspruch auf erhöhtes Monatsgehalt, erhöhte Jahressonderzahlungen sowie erhöhte Lohnzuschläge. Der gesetzliche Mindestlohn trete als eigenständiger Anspruch neben die bisherigen Anspruchsgrundlagen, verändere diese aber nicht. Der nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bemessene Mindestlohnanspruch der Klägerin für den Zeitraum Januar bis November 2015 sei erfüllt, denn auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen komme Erfüllungswirkung zu.
Die Entscheidung schafft in einem wichtigen Punkt Rechtssicherheit. Der Pressemitteilung ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob die monatliche anteilige Auszahlung der Sonderzahlung zu je 1/12 zwingende Voraussetzung für die Anrechenbarkeit ist. Evtl. sind die Entscheidungsgründe hier aufschlussreicher. Interessant dürfte auch die Begründung sein, weshalb widerrufliche Leistungen nicht auf den Mindestlohn anrechenbar sein sollen. Entscheidend dürfte nach der Konzeption des MiLoG doch wohl der tatsächliche Zufluss sein. Die eher theoretische Möglichkeit, in einer wirtschaftlichen Notlage die Leistung zu widerrufen, kann schwerlich zur Nichtanrechenbarkeit führen. Drückt der Widerruf die Vergütung des Arbeitnehmers unter die Lohnuntergrenze, so ist der Widerruf rechtlich unzulässig. Und dabei könnte es verbleiben.