Amok? Was man jetzt nicht tun sollte
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Schon der Fall des jungen Flüchtlings, der mit einer Axt auf mehrere Mitglieder einer Touristenfamilie und später auf eine Spaziergängerin einschlug, hat die Frage aufgeworfen, ob es sich um einen (typischen) islamistischen Terroranschlag handelte oder um das Massaker eines Einzelnen.
Nun erschießt wenige Tage später, am Jahrestag des Attentats in Norwegen, ein Attentäter in München neun Menschen und begeht dann Suizid. Alles deutet derzeit darauf hin, dass der Münchener Täter kein islamistisches Motiv hatte. Auch bei dem Würzburger Attentäter war der islamistische Hintergrund möglicherweise nur einer von mehreren Ursachen für sein Massaker.
Man muss noch vorsichtig sein mit Schlussfolgerungen, aber Vorsicht ist auf jeden Fall geboten, wenn es um die Veröffentlichung der Identität des Täters und um Bilder, die ihn zeigen, geht. Ich zitiere aus meinem Blog-Beitrag von 2009:
"Es ist eine wesentliche Motivation für solche Taten, als (negativer) Held zu erscheinen. Bei den Tätern handelt es sich meist um männl. Personen, die sich für gescheitert halten und für sich selbst keine Erfolgschance im Leben erkennen. Sie sehen ihre Tat (und zwar durchaus realistisch!) als einzige Chance an, sich in ihrem Suizid „unsterblich" zu machen. Selbst ein Gewinn bei DSDS oder bei Wer wird Millionär kann diesen „Ruhm" nicht toppen. Alle bisherigen Taten zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Täter mit früheren solchen Vorgängen identifiziert haben. Sie streben zum Teil an, frühere Täter zu übertreffen.
Es sollte daher … der ernsthafte Versuch gemacht werden, durch eine beschränkte Nachrichtensperre (hinsichtlich der Täteridentität) diese Ursachenkette abzureißen und die Motivation, als Individuum wegen einer solchen Tat besonders herausgestellt zu werden, zu minimieren."
Vor sechs bis zehn Jahren, zu einer Zeit, in der sich in Deutschland mehrere Schulmassaker ereigneten, war Konsens unter den Experten, dass gerade die verbreitete öffentliche Erörterung von Tatdetails und insbesondere der Täteridentität Anlass für Nachahmungstaten sein könne. Es ist deshalb sehr richtig, dass Polizei und großen Medienhäuser zumindest den Namen nicht nennen, bislang jedenfalls. Auf FB und Twitter hingegen überschlagen sich Posts von Personen, die den Namen ausbuchstabieren und die Presse, die sich hier vernünftig verhält, als Lügenpresse attackieren. Und eine Reporterin der New York Times, die wohl zufällig in München ist, hat sich lt. ihrem Twitter-Account für heute vorgenommen, die Identität des Täters zu ermitteln. Beschämende Unwissenheit.
Ergänzung: Jens Hoffmann (Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt) warnte schon am 15.07. nach dem Anschlag von Nizza im Deutschlandfunk vor der Identifizierung und damit (negativen) Heroisierung von Tätern.
Update (01.08.2016) Stern und Spiegel.TV und ihre widersprüchliche Berichterstattung
Sowohl Autoren des Stern als auch des Spiegel haben durchaus verstanden, worum es hier geht: Nachdrückliche Bildberichterstattung über den Täter kann zur Nachahmung anreizen. Das wissen die Redaktionen von Spiegel und Stern. Sie schreiben es auch in ihren Artikeln bzw. lassen es schreiben. Schockiert war ich, als ich letzte Woche einen Bericht von Spiegel.Tv sah, in dem dem Münchener Attentäter mehrfach und lange Zeit bildlich geradezu "gehuldigt" wurde.
Direkt widersprüchlich ist auch die Berichterstattung im aktuellen Stern. Auf der Titelseite werden drei aktuelle Attentäter abgebildet, immerhin noch mit einem Balken über dem Gesicht. Im Innenteil des Stern werden auf derselben Doppelseite, auf der unten zutreffend über die Nachahmungsgefahr berichtet wird, im oberen Teil die schlimmsten früheren Schulmassaker-Täter erneut abgebildet zusammen mit Bildern vom jeweiligen Tatort: Geradezu eine "Hall of Fame" der Attentate mit implizitem Aufforderungscharakter. Mir fehlen die Worte.