Die sogenannte "Kinderehe"
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Die sogenannte „Kinderehe“ wird derzeit politisch und juristisch heftig diskutiert.
Aktueller Auslöser der Diskussion dürfte eine Entscheidung des OLG Bamberg gewesen sein, in der dieses eine in Syrien nach syrischem Eheschließungsrecht wirksam geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen als wirksam anerkannt hat, wenn die Ehegatten der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und die Ehe bereits vollzogen ist (OLG Bamberg v. 12.05.2017 – 2 UF 58/16 = NZFam 2016, 807)
Eine einheitliche internationale Definition, was eine Kinderehe ist, gibt es nicht. Die UN-Kinderrechtskonvention, die in Deutschland und anderen europäischen Staaten weitgehend anerkannt ist, bezeichnet Kinderehe als Begriff, der für solche Ehen gelten sollte „bei denen mindestens einer der Eheschließenden das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. […]“.
Eheschließung in Deutschland:
Gemäß § 1303 I BGB soll eine Ehe nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden.
Das Familiengericht kann auf Antrag von dieser Vorschrift Befreiung erteilen, wenn der Antragsteller das 16. Lebensjahr vollendet hat und sein künftiger Ehegatte volljährig ist (§ 1303 II BGB).
Die praktische Bedeutung der Möglichkeit der Befreiung von der Ehemündigkeit ist in den letzten Jahrzenten stark zurückgegangen. Dies zum einen, weil das Volljährigkeitsalter 1975 von 21 auf 18 Jahre heruntergesetzt wurde, zum anderen, weil der gesellschaftliche und sprichwörtliche Zwang zum „Heiraten müssen“ bei Schwangerschaft weitgehend entfallen ist.
Im Zusammenhang mit der Kinderehe wird diskutiert, die Befreiungsmöglichkeit nach § 1303 II BGB vollständig zu streichen, so dass eine Heirat in Deutschland nur noch möglich wäre, wenn beide Partner volljährig sind.
Im Ausland geschlossene Ehen:
Die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen regeln dem Grundsatz nach Art. 13 (Eheschließungsvoraussetzungen) und 11 EGBGB (Eheschließungs- und Ortsform). Nach Art. 13 I EGBGB ist für jeden Verlobten zu prüfen, ob nach dem Recht des Staates, dem er angehört, die Voraussetzungen für eine Eheschließung vorliegen.
Nach den Feststellungen des OLG Bamberg sieht das syrische Recht bezüglich des Lebensalters der zukünftigen Eheleute zur Erlangung der Ehefähigkeit hinsichtlich des Mannes die Vollendung des 18. und hinsichtlich der Frau die Vollendung des 17. Lebensjahres voraus. Ausnahmsweise dürfen ein männlicher Jugendlicher, der das 15. Lebensalter und eine weibliche Jugendliche, die das 13. Lebensalter vollendet haben, die Ehe eingehen, wenn der zuständige Richter die körperliche Reife und die Geschlechtsreife der beiden Jugendlichen als erwiesen ansieht.
Nach syrischem Recht lag in dem Fall des OLG Bamberg eine wirksame Ehe vor.
Eine Anerkennung in Deutschland ist aber zu versagen, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) widersprechen würde. Art. 6 EGBGB bestimmt daher:
Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.
Solange in Deutschland gemäß § 1303 II BGB die Möglichkeit von der Befreiung der Ehemündigkeit besteht, wird man Ehen von 16 –Jährigen nicht generell als Verstoß gegen den ordre public ansehen können.
Im Übrigen dürfte es sich um Einzelfallenscheidungen handeln. Einen Anhaltspunkt für einen unverzichtbaren Mindeststandard bietet die im deutschen Sexualstrafrecht (§ 176 StGB) gezogene Grenze von vierzehn Jahren.
Wird ein Verstoß gegen ordre public festgestellt, stellt sich die Anschlussfrage, ob die so geschlossene Ehe nichtig oder bloß anfechtbar bzw. aufhebbar ist. Das OLG Bamberg ist in seiner v.g. Entscheidung von Letzterem ausgegangen.
Es gibt in der politischen Diskussion Forderungen
- Eheschließungen von Minderjährigen grundsätzlich als Verstoß gegen den ordre public anzusehen
- als Folge des Verstoßes gegen den ordre public die Nichtigkeit der Ehe anzunehmen.
Was hätte das für Folgen?
Beispiel: Eine 2006 mit 13 Jahren an einen Volljährigen verheiratete Syrerin kommt mit ihrem Ehemann und den zwischenzeitlich geborenen Kindern zehn Jahre später nach Deutschland. Der Mann beantragt Asyl.
Die Nichtigkeit der Ehe hätte zur Folge, dass die Kinder nicht ehelich geboren sind, Unterhalts- und Erbansprüche gegen den Mann bestehen für sie nicht. Die Möglichkeit der Bewilligung von Familienasyl (§ 26 AsylG) entfällt.