Zum geplanten § 114 StGB "Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte"
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In meinem Beitrag vom 30. November hatte ich mich schon mit der laut Presseberichten geplanten (nach kurzer Zeit erneuten) Verschärfung des § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) befasst. Ich hatte insbesondere kritisiert, dass es für diese Verschärfung anlässlich sinkender Fallzahlen keinen empirischen Anlass gebe. Allerdings war im November noch nicht bekannt, wie denn der konkrete Gesetzesvorschlag aussehen solle und wie er begründet werden würde.
Seit einigen Tagen liegt der Gesetzentwurf der Regierung vor, am Freitag fand die erste Lesung im Bundestag statt.
Der Entwurf sieht vor, in § 114 StGB ein neues Delikt „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ zu schaffen und den tätlichen Angriff aus § 113 StGB zu streichen. Der bisherige § 114 StGB wird zum neuen § 115 StGB umformuliert, hier die geplante Neufassung:
§ 113 StGB Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
1. der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt
2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, oder
3. die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
§ 114 StGB Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte
(1) Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) § 113 Absatz 2 gilt entsprechend.
(3) § 113 Absatz 3 und 4 gilt entsprechend, wenn die Diensthandlung eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 Absatz 1 ist.
§ 115 StGB Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen
(1) Zum Schutz von Personen, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein, gelten die §§ 113 und 114 entsprechend.
(2) Zum Schutz von Personen, die zur Unterstützung bei der Diensthandlung hinzugezogen sind, gelten die §§ 113 und 114 entsprechend.
(3) Nach § 113 wird auch bestraft, wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert. Nach § 114 wird bestraft, wer die Hilfeleistenden in diesen Situationen tätlich angreift.“
Die Rede des Bundesjustizministers ist auf der Seite des BMJV veröffentlicht. Ich nehme sie zum Anlass meines Beitrags:
„Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass tätliche Angriffe insbesondere gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte permanent zunehmen. Wir haben mittlerweile jedes Jahr über 60 000 Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.“
Diese Aussagen sind unrichtig. Eine eigene Fallzählung der „tätlichen Angriffe“ auf Polizeibeamte gibt es bisher gar nicht. Die Zahl der Widerstandsfälle (worin auch tätl. Angriffe in diesem Rahmen enthalten sind) geht in den letzten Jahren sogar zurück. Die zitierte Zahl 60.000 ist nicht die Zahl der Angriffe, sondern die Anzahl der polizeilichen Opfer von Straftaten mit Opfererfassung. Diese werden gesondert erfasst und im PKS-Jahrbuch (seit 2012 in gleicher Form) veröffentlicht. Hierzu muss man wissen: Es gibt in der Polizeilichen Kriminalstatistik eine Fallzählung, jedes der Polizei bekannt gewordene Delikt wird darin als ein Fall gezählt. Seit 2011 gibt es zusätzlich eine Rubrik „Polizeibeamtinnen/-beamte als Opfer“. Zu jedem Einzelfall kann es mehrere Opfer geben. Deshalb können Opferzahlen steigen, auch wenn die Fallzahlen stabil bleiben oder gar geringer werden. Pro Fall des § 113 StGB ist die Opferzahl seit dem Jahr 2011 von 1,56 Opfer pro Widerstandshandlung auf 1,84 Beamte gestiegen.
Beispiel: Aus einer Demonstrantengruppe wird eine Flasche in Richtung der Polizeibeamten geworfen: Je nachdem, wie eng gestaffelt die Polizisten stehen, können dann mehrere in der Flugrichtung der Flasche stehende Polizisten als Opfer dieses einen deliktischen Angriffs (versuchte gefährliche Körperverletzung) gezählt werden, selbst wenn kein Beamter von der Flasche getroffen wird. Aber wie kommt es trotz sinkender Fallzahlen zu steigenden Opferzahlen? Es könnte natürlich sein, dass die Täter in den letzten Jahren vermehrt gleichzeitig mehrere Polizeibeamte angreifen. Wahrscheinlicher ist aber, dass immer mehr Polizeibeamte sich als Opfer von Angriffen ansehen und diesen Umstand in die Statistik eingeben, selbst wenn sie nicht persönlich von einer vollendeten Körperverletzung betroffen sind. Dass Polizeibeamte vergleichsweise verstärkt geneigt sind, ihre Eigenschaft als Opfer von versuchten Delikten zu registrieren, lässt sich am Verhältnis zwischen versuchten und vollendeten Körperverletzungsdelikten ablesen, so sind die Zahlen bei Polizeibeamten hier eklatant höher als bei der Allgemeinbevölkerung: Bei der gefährlichen Körperverletzung werden in der allg. Statistik pro vollendete Tat ca. 16% versuchte Taten angezeigt, bei den Polizeibeamten sind es 125% (!), bei der einfachen Körperverletzung werden in der allg. Statistik knapp 6% Versuche gemeldet, von den Polizeibeamten als Opfer jedoch 51%, berechnet nach Zahlen von 2015. Die versuchte einfache Körperverletzung war übrigens bis 1998 gar nicht strafbar.
Zudem ist zu beachten: Die Polizeiliche Kriminalstatistik wird von der Polizei selbst geführt und nicht unabhängig geprüft. Die Opferzahlen und insbesondere deren Steigerung können daher nicht wie ein objektives Ergebnis einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung behandelt werden, zumal hier z.B. die Gewerkschaften der Polizeibeamten seit Jahren in der Öffentlichkeit für eine Sonderbehandlung werben.
Der Minister:
„Bisher ist es lediglich möglich, etwa bei Polizeibeamten die strafrechtlichen Bestimmungen in Anwendung zu bringen, wenn sie dabei sind, eine sogenannte Vollstreckungshandlung durchzuführen, das heißt zum Beispiel, wenn ein Polizeibeamter eine Verhaftung vornimmt.“
Das ist nun wirklich Unsinn. Richtig ist, dass § 113 StGB nur für Vollstreckungshandlungen gilt. Aber selbstverständlich gilt das gesamte Strafrecht (Nötigung einschl. Versuch, Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung einschl. Versuch) auch für Polizeibeamte und Personen des Rettungspersonals, und das galt schon immer. Den „tätlichen Angriff“ nun als neuen Straftatbestand zu regeln bedeutet hingegen eine Ungleichbehandlung insofern, als nur eine besondere Gruppe von potentiellen Opfern erfasst ist.
"Tätlicher Angriff“ hört sich zwar schlimm an, fällt aber meist mit einer (bereits strafbaren) versuchten oder vollendeten Körperverletzung zusammen. Soweit er eigenständige Bedeutung hat, ist diese unterhalb der versuchten Körperverletzung anzusiedeln, nämlich dann, wenn der Täter eine Verletzung nicht intendiert hat. Der tätliche Angriff, bei dem nicht einmal eine Körperverletzung beabsichtigt ist, gilt im Allgemeinen zu Recht als nicht strafwürdig.
Wenn nun für Polizeibeamte und Rettungskräfte der tätliche Angriff strafbar sein soll, und sogleich mit einer Mindeststrafe von drei Monaten, dann bedeutet dies, dass die Strafe für einen Angriff auf diese Berufsgruppe ohne Verletzungsintention und ohne Verletzung schon eine erhöhte Mindeststrafe auslöst. Dass dadurch Polizeibeamte und Rettungskräfte tatsächlich wirksam(er) geschützt werden, wie es die gute Intention des Ministers ist, erscheint allerdings nahezu ausgeschlossen. In der Interaktion zwischen Bürgern und Polizei wird aber der Polizei ein (weiteres) Mittel an die Hand gegeben, sich per Gegenanzeige vor einer Strafverfolgung bei unverhältnismäßiger Polizeigewalt zu schützen (vgl. Amnesty International-Statement)
Bei Interesse zum Weiterlesen vgl. diesen NJW-Artikel von Puschke/Singelnstein aus dem Jahr 2011 (zur vorherigen Verschärfung des § 113 StGB).
Update 21.03.2017: Morgen findet die Anhörung von Sachverständigen im Rechtsausschuss des Bundestages statt. Da ich auch als Sachverständiger geladen wurde, habe ich (wie auch einige andere Sachverständige - Liste hier) eine schriftliche Stellungnahme verfasst: Zum Nachlesen hier.
Update 26.03.2017 nach der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages:
Nur noch eine kurze Anmerkung zur Sachverständigenanhörung: Drei der sieben Sachverständigen stammten aus der betreffenden Berufsgruppe Polizei. Eine objektive Berurteilung der Sachlage kann von diesen aber nicht erwartet werden. Herr Braun von der GDP hat in seinem mündlichen Eingangsstatement sogleich klar gemacht, dass die GDP "seit acht Jahren um diese Norm kämpft". Mein Einwand, es könne nicht angehen, dass der Gesetzgeber sich von der Lobby einer Berufsorganisation dazu bestimmen lässt, dass diese Gruppe einen Sonderstatus als Opfer bekommt, wurde von den Polizeivertretern damit zurückgewiesen, sie verwahrten sich gegen die Bezeichnung "Lobby". Herr Wendt hat übrigens interessanterweise eher den (aus meiner Sicht etwas weniger problematischen) nordrheinwestfälischen Ansatz, die Sache über § 46 StGB zu regeln, befürwortet.
Ich habe die Hoffnung, dass nach der SV-Anhörung wenigstens zwei der gröbsten Dinge noch anders geregelt werden:
1. Die Verwendungsabsicht hins. des Beisischführens gefährlicher Werkzeuge sollte im Gesetz bleiben, also nicht gestrichen werden.
2. Es sollte noch (Vorschlag auch des Bundesrats) ein "minder schwerer Fall" geregelt werden, wie er eigentlich bei Tatbeständen mit erhöhter Mindetsstrafe üblich ist.
Im übrigen ist damit zu rechnen, dass der Gesetzentwurf durchgeht.
Update 31.05.2017:
Seit gestern sind die oben besprochenen Änderungen Gesetz geworden. Der Gesetzentwurf wurde verabschiedet, ohne die von allen rechtswissenschaftlcihen Sachverständigen dringend angemahnten Punkte zu beachten, d.h. es wird keinen "minder schweren Fall" geben und das bloße Beisichführen (auch ohne Verwendungsabsicht) genügt für die Annahme eines besonders schweren Falls.