Wieder mal: Unschuldig 27 Jahre in Haft - und die wahren Schuldigen bleiben frei
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Seit ich Strafrichter bin, beschäftigt mich das Thema „Justizirrtum“; denn Justizirrtümer kommen auch heutzutage viel öfters vor, als man landläufig meint, sind aber gleichwohl zumeist – selbst bei falschen Geständnissen – vermeidbar, wenn man als Richter nur bereit ist, sich intensiv mit den Ursachen auseinanderzusetzen. Fehlurteile kommen in allen Ländern vor und auch die Ursachen sind in allen Ländern dieselben: Mängel in der Beweisaufnahme und im Verfahren, menschliche Fehlerquellen, Gesetzesmängel, aber auch in der Psychologie der Urteilsfindung kann die Ursache liegen.
Schon in der klassischen Untersuchung von Max Hirschberg "Das Fehlurteil im Strafprozess" nennt dieser als kriminalistische Hauptursachen eines Fehlurteils:
- Unkritische Bewertung des Geständnisses,
- unkritische Bewertung der Belastung durch den Mitangeklagten,
- unkritische Bewertung der Zeugenaussagen,
- falsches Wiedererkennen,
- die Lüge als Schuldbeweis und
- unkritische Bewertung des Sachverständigengutachtens
Zum aktuellen Fall: Im US-Staat Texas saß ein wegen schwerer sexueller Nötigung zu 75 Jahren verurteilter Mann 27 Jahre unschuldig in Haft, bis jetzt ein DNA-Test seine Unschuld belegte. Gestern wurde er aus der Haftanstalt in Houston entlassen. Das Opfer hatte ihn bei einer Gegenüberstellung zunächst nicht identifiziert, glaubte aber später, ihn auf einem Foto wiederzuerkennen. Die Polizei ermittelte jetzt auch die vier Männer, die die Frau ehemals verschleppt und vergewaltigt hatten – aber die Tat ist zwischenzeitlich verjährt.
Wie leicht sich die Justiz irrt – und wie schwer es ist, seine eigene Unschuld zu beweisen, wenn die Richter nicht an sie glauben, steht auf der Rückseite des ebenso eindringlichen wie bedrückenden Buchs von Sabine Rückert „Unrecht im Namen des Volkes. Ein Justizirrtum und seine Folgen“, dessen Lektüre ich jedem nur empfehlen kann, der sich für das Thema „ Justizirrtum“ interessiert – für Studierende der Rechtswissenschaft in meinen Augen gleichsam eine Pflichtlektüre.