Die "böse" Mutter
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Die Mutter (Jahrgang 1935) litt schon während der Kindheit ihres Sohnes (Jahrgang 1962) an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik und damit einhergehend an Antriebsschwäche und Wahnideen. Aufgrund des Waschzwangs der Mutter soll es zum "Zwangsbaden" und zum Zerschneiden der Kleidung des Kindes gekommen sein.
Die Mutter hat den Sohn bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 - mit Unterbrechungen wegen zum Teil längerer stationärer Krankenhausaufenthalte - versorgt. Seit spätestens 1977 besteht so gut wie kein Kontakt mehr zwischen Mutter und Sohn.
Seit 2005 befand sie sich (sie ist mittlerweile verstorben) in einem Pflegeheim. Da ihr Einkommen zur Deckung der damit verbundenen Kosten nicht ausreichte, nahmen die Sozialbehörden den beklagten Sohn aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt in Anspruch.
Der Sohn berief sich auf § 1611 BGB.
Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.
Zu Unrecht sagt der BGH:
Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigen die als schicksalsbedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf den Beklagten es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Lebenssachverhalt auch soziale bzw. öffentliche Belange beinhaltet. Das ist u. a. der Fall, wenn ein erkennbarer Bezug zu einem Handeln des Staates vorliegt. Eine solche Konstellation lag der Senatsentscheidung vom 21. April 2004 (XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097) zugrunde, in der die psychische Erkrankung des unterhaltsberechtigten Elternteils und die damit einhergehende Unfähigkeit, sich um sein Kind zu kümmern, auf seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg beruhte. Soziale Belange, die einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf die Behörde ausschließen, können sich auch aus dem sozialhilferechtlichen Gebot ergeben, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen.
Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt damit auf Ausnahmefälle beschränkt.
BGH Urteil v. 15.9.2010 XII ZR 148/09 (Pressemitteilung, vollständige Entscheidung liegt noch nicht vor)
dazu ein kritischer Kommentar von Heribert Prantl
Nach der Rechtsprechung des BGH kann nicht ausgeschlossen werdeen, dass in 50 Jahren auch das freundliche Kind Unterhalt für seine Mutter zahlen muss