EuGH zu Lebensalterstufen im öffentlichen Tarifrecht
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Der EuGH (Urteil vom 8.9.2011 – C-297/10 und C-298/10) hat über zwei verbundene Vorlagen des BAG befunden und sich zur Frage geäußert, ob (fortwirkende) Lebensaltersstufen in den Tarifvertragswerken des öffentlichen Dienstes eine verbotene Diskriminierung wegen des Alters darstellen.
In dem ersten Verfahren geht es um das Tarifrecht des Landes Berlin. Dort hatte der BAT mit seinen Lebensaltersstufen im Wesentlichen noch bis zum 31.3.2010 gegolten. Der EuGH verwirft diese Regelung erwartungsgemäß mit der Folge, dass auf das Land Berlin erhebliche Belastungen zukommen dürften. Wörtlich heißt es in dem Urteil (Rechtssache C-298/10):
„Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert und durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf konkretisiert worden ist, und insbesondere die Art. 2 und 6 Abs. 1 dieser Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der in den Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach sich innerhalb der jeweiligen Vergütungsgruppe die Grundvergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst bei dessen Einstellung nach dessen Alter bemisst. Insoweit beeinträchtigt die Tatsache, dass das Unionsrecht der betreffenden Maßnahme entgegensteht und dass diese in einem Tarifvertrag enthalten ist, nicht das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannte Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen.“
Im zweiten Fall (Rechtssache C-297/10) fühlte sich die Klägerin durch den neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) diskriminiert. Zwar kennt dieser anders noch als der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) keine Lebensaltersstufen mehr. Jedoch wurde bei der Überleitung der Angestellten aus dem BAT in den TVöD die im alten System erreichte Lebensaltersstufe im Wege der Besitzstandswahrung voll berücksichtigt. Hier entscheidet der EuGH anders:
„Die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sowie Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑297/10 streitigen nicht entgegenstehen, mit der ein Vergütungssystem, das zu einer Diskriminierung wegen des Alters führt, durch ein auf objektive Kriterien gestütztes Vergütungssystem ersetzt wird und zugleich für einen befristeten Übergangszeitraum einige der diskriminierenden Auswirkungen des erstgenannten Systems bestehen bleiben, um für die bereits in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Angestellten den Übergang zum neuen System ohne Einkommensverluste zu gewährleisten.“